Von Lissabon nach Stockholm – kommt der europäische Richter ?

Die Europäische Rechtsentwicklung läßt die Notwendigkeit einer, in allen Mitgliedsstaaten einheitlichen richterlichen Aus-  und Weiterbildung erkennen.

von Siegfried Königshofer

Der Vertrag von Lissabon ist aus der öffentlichen Berichterstattung und Wahrnehmung weitgehend verschwunden. Und doch handelt es sich dabei um den bedeutsamsten Entwicklungsschritt der Europäischen Union, dessen Auswirkungen auch für alle Rechtsberufe – und damit auch für uns – bald greifbar werden. Hier einige Gedanken dazu:

1. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde erstmals die Grundlage für eine Europäische Union als selbstständigem Staat geschaffen. Dies ist schon jetzt am Beitritt der Union als eigenem Staat zur Europäischen Menschrechtskonvention – das Beitrittsverfahren ist im Laufen – und dem Aufbau eines eigenen diplomatischen Dienstes erkennbar.

2. Mit dem Vertrag gehen wesentliche Teile nationalstaatlicher Kompetenzen an die Europäische Union über, Einschätzungen von Experten gehen davon aus, dass bis zu 90 Prozent dieser Kompetenzen davon betroffen sein werden. Es wird also in absehbarer Zeit kaum mehr Rechtsbereiche geben, in denen nicht zumindest teilweise europarechtliche Normen zu beachten sein werden. Die Union ist damit auf dem Weg zu einem europäischen Rechtsstaat, dies lässt auch das ambitionierte Programm der Kommission und des Europäischen Parlaments für das Jahr 2011 erkennen.

3. Der quantitativ überwiegende Teil des Unionsrechts fällt in den Mitgliedsstaaten in den Bereich des Verwaltungsrechts, nur ein geringer Teil in das Zivilrecht- und Straf-recht. Verwaltungsrecht wird von den nationalen Behörden angewendet. Die Aufgabe der Verwaltungsgerichte besteht in der Kontrolle der Rechtsanwendung der Behörden, wobei auch die Frage zu prüfen ist, ob die Behörden das Bestehen bzw. die Anwendung unionsrechtlicher Normen ausreichend beachtet haben.

4. Mit dem Aufbau eines europäischen Rechtsstaates gewinnt die einheitliche Anwen-dung des Unionsrechts immer mehr an Bedeutung. Den Gerichten, insbesondere den Verwaltungsgerichten, wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Noch vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages beschäftigte sich daher das Europäische Parlament in sei-ner Entschließung vom 9. Juli 2008 erstmals mit der „Rolle des einzelstaatlichen Richters im europäischen Rechtsgefüge“. Mit der Beschlussfassung des„Stockholmer Programms“ durch das Europäische Parlament im werden unter anderem konkrete Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung von Richter empfohlen bzw. angekündigt. Wesentlich erscheint, dass das Parlament die Richteraus- und fortbildung zu einer geteilten Kompetenz erklärt hat, aufgeteilt zwischen Kommission, Europäischem Parlament und den Mitgliedesstaaten. Die Migliedsstaaten sind für die Durchführung verantwortlich, ein Teil der Finanzierung wird aus EU-Mittel erfolgen

5. In Umsetzung dieses Programms laufen derzeit Vorbereitungen sowohl der nationalen Institute für die Richterausbildung wie auch des „European Judicial Training Network „ (EJTN). Ziel ist es, europaweite Ausbildungsstrategien und Ausbildungsstandards für Richter zu entwickeln. Bereits 2011 soll ein Aktionsplan über europäische Schulungen für die Angehörigen aller Rechtsberufe vorgelegt werden. Laut Mitteilung des Generalsekretärs des EJTN gibt es in der Union geschätzte 80.000 Richter und 40.000 Staatsanwälte, bis Ende 2015 sollen rund 50.000 von ihnen in europäische Schulungsprogramme einbezogen werden. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass sich wesentliche Inhalte dieser künftigen Ausbildungsstandards an denen der spanischen bzw französischen Richterschulen orientieren werden.

6. Die UVS und der UFS sind nach der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH Gerichte, die Senatsmitglieder daher Richter. Dies wird im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR auch für Mitglieder jener Behörden gelten, die auf Grundlage des Art 133 Z 4 B-VG eingerichtet sind. Auch die Grundrechtscharta hat in ihrer Diktion die Unterscheidung der Rechtsschutzeinrichtungen in „Gerichte“ und „unabhängige Behörden“ aufgegeben und spricht nur mehr von Gerichten. Das bedeutet, dass alle Senatsmitglieder so wie die Richter des Asylgerichtshofes und des Verwaltungsge-richtshofes von den Maßnahmen des Stockholmer Programms umfasst sein werden.

7. In praktisch allen Mitgliedsstaaten der Union sind Zivil-, Straf- und Verwaltungsrichter im selben Ausbildungssystem erfasst, im Regelfall gibt es eine Durchlässigkeit der Sparten, da alle Teil eines einheitlichen Justizsystems sind. Österreich ist das einzige Land in der Europäischen Union, in dem der gesamte Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht Teil des Justizsystems ist. Nicht nur das, UVS, UFS, die Kollegialbehörden mit richterlichen Einschlag, der Asyl- und der Verwaltungsgerichtshof, sie alle sind auf unterschiedlichen Ebenen der staatlichen Verwaltung angesiedelt. Es gibt weder institutionalisierte Auswahlverfahren noch eine Ausbildungseinrichtung, keine Aus- und Fortbildungsstandards und auch keine Programme dafür.

8. Aus Erfahrung kann gesagt werden, dass es die Standesvertretungen sein werden, die die politischen Entscheidungsträger auf die Notwendigkeit, Maßnahmen zu setzen, hinweisen werden müssen. Anders als bisher kann aber diese Problematik nicht ausgesessen und die Lösung auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden. Die Kommission plant für 2011 eine Mitteilung zur Richterausbildung an die Mitgliedsstaaten, sie fordert alle Interessenvertretungen auf, bis 20. Dezember 2010 ihre Stellungnahmen zu künftigen Ausbildungs- und Fortbildungsstandards abgeben.

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