Ernennungsverfahren der Präsident:innen/Vizepräsident:innen der Landesverwaltungsgerichte im Abgleich mit den europäischen Standards

Eine wissenschaftliche Aufbereitung des Themas von Claudia Pinter, Präsidentin der VRV und Richterin am LVwG Kärnten

I.        Anforderungen an die Präsident:innenauswahl

Die Auswahl von geeignetem Personal stellt gerade bei Gerichten eine besondere Herausforderung dar. Die an ein Gericht gestellten Aufgaben sollen professionell, effektiv und unter hoher Akzeptanz in der Bevölkerung effizient bewerkstelligt werden und die Rechtsprechung sichtbar unparteiisch und unabhängig erfolgen. Diesen Anforderungen kann man nur gerecht werden, wenn der Einrichtung auch entsprechend geschultes Personal zur Verfügung steht und Auswahlverfahren transparent und den Anforderungen der Justiz entsprechend ausgestaltet sind.

In den letzten zehn Jahren seit der Einrichtung der Verwaltungsgerichte haben diese bewiesen, dass sie selbst durch ihre Organe sehr gut feststellen können, wer diesen hohen Anforderungen gerecht werden kann. Bei der Ernennung der einzelnen Richter:innen in den Landesverwaltungsgerichten hat sich die in der Verfassung[1] vorgesehene Ausarbeitung eines Dreiervorschlages durch die am jeweiligen Gericht dafür eingerichteten Senate[2] oder durch die Vollversammlung[3] gut etabliert und werden diese Dreiervorschläge von der Landesregierung, die schließlich die Ernennung vorzunehmen hat, in den letzten Jahren auch weitgehend akzeptiert.

Anders sieht die Situation bei der Ernennung von Präsident:innen und Vizepräsident:innen aus. Dies liegt schon daran, dass die Verfassung kein Prozedere zur Auswahl von Leitungspersonen der Verwaltungsgerichte vorsieht. Zur Qualifikation für diese Ämter wird man davon ausgehen können, dass geeignete Kandidaten zumindest auch jene Kenntnisse mitzubringen haben, die für das Amt eines Richters/einer Richterin von Verfassungswegen vorgesehen sind.[4] Dies ist allein schon damit zu begründen, dass Präsident:innen und Vizepräsident:innen auch das Amt eines Richters/einer Richterin bekleiden, dh auch in der Rechtsprechung und nicht nur in der Justizverwaltung tätig sein können und auch sind. Darüber hinaus gibt es keine konkreten Vorgaben.

II.       Europäische Standards

Auch wenn die Verfassung für die Auswahl geeigneter Personen für die Leitung der Verwaltungsgerichte keine besonderen Vorgaben macht, so hat hier die ernennende Stelle doch nicht völlig freie Hand; es sind die europäischen Standards zu beachten.

Diese sehen vor, dass die Verfahren für die Ernennung von Gerichtspräsident:innen den gleichen Weg wie bei der Auswahl und Ernennung von Richter:innen gehen sollten, insbesondere sollte eine richterliche Kommission das Auswahlverfahren durchführen.[5] In den jährlichen Rechtsstaatlichkeitsberichten der Europäischen Kommission[6] wird Österreich laufend empfohlen, der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, die Justiz an der Ernennung der Präsident:innen von Verwaltungsgerichten zu beteiligen und dabei europäische Standards für die Auswahl von Gerichtspräsident:innen zu berücksichtigen. Wörtlich heißt es: „Wie bereits in früheren Ausgaben des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit festgestellt, gibt die Tatsache, dass Vizepräsident:innen sowie Präsident:innen ohne systematische Beteiligung der Justiz ernannt werden, in Verbindung mit ihren weitreichenden Befugnissen und Pflichten und der Tatsache, dass sie nicht aus dem Kreis der bereits ernannten Richter:innen gewählt werden müssen, Anlass zu Bedenken in Bezug auf die Einhaltung europäischer Standards.“

Auch der GRECO[7] Bericht gibt die Empfehlung ab, richterliche Personalsenate mit der Auswahl und der Karriereentwicklung von Präsident:innen und Vizepräsident:innen der Verwaltungsgerichte zu befassen.[8]

III.      Gesetzliche Regelungen auf nationaler Ebene

Trotz dieser klaren europäischen Standards fanden diese bislang keinen Eingang in gesetzliche Regelungen auf nationaler Ebene.

Die gesetzlichen Grundlagen sind – abgesehen davon, dass eine Ausschreibung für die Leitungsfunktionen der Verwaltungsgerichte erforderlich ist – in den Bundesländern sehr unterschiedlich.  Im Burgenland[9] ist eine von der Landesregierung zu bestellende dreiköpfige Objektivierungskommission vorgesehen, der Vertreter:innen aus Gerichtsbarkeit und Verwaltung sowie eines Personalberatungsunternehmens angehören. In Oberösterreich ist eine Begutachtungskommission bestimmt und definiert § 18 Abs. 3 Oö. LVwGG genau, wer dieser anzugehören hat. Dabei sind ua. Vertreter:innen der Gerichtsbarkeit, der Verwaltung und der Wissenschaft genannt. In Kärnten[10] ist geregelt, dass die Landesregierung bei der Ernennung auf die Ergebnisse eines die Chancengleichheit aller Bewerber:innen gewährleistenden Auswahlverfahrens Bedacht zu nehmen hat. In Wien[11] wird für alle Mitglieder des Verwaltungsgerichts – daher wohl auch für die Leitungsfunktion – geregelt, dass die Landesregierung nach vorausgegangener allgemeiner Bewerbung und Begutachtung durch eine Kommission, der Vertreter:innen aus Gerichtsbarkeit, Wissenschaft und Verwaltung angehören, ernennt. In den restlichen Bundesländern sind – soweit erkennbar – keine besonderen Regelungen betreffend das Auswahlverfahren für Leitungsfunktionen der Landesverwaltungsgerichte vorgesehen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es in der überwiegenden Zahl der Bundesländer keine Regelungen betreffend eine Auswahlkommission gibt und dort, wo es solche Regelungen gibt, kein (überwiegend) richterliches Gremium vorgesehen ist. Es werden also die geforderten europäischen Standards, die ein richterliches Gremium für das Auswahlverfahren von Präsident:innen und Vizepräsident:innen von Verwaltungsgerichten vorsehen, nicht erfüllt.

In der Praxis werden häufig ad hoc Kommissionen von den politisch Verantwortlichen eingesetzt, die kein richterliches Gremium darstellen, und bleibt auch manchmal verborgen, wer überhaupt in dieser Kommission tätig war und welches Anforderungsprofil die Kandidaten zu erfüllen haben. Solche Vorgehensweisen fördern naturgemäß den Anschein einer politischen Einflussnahme bei den Besetzungen, und dies schadet wiederum dem Vertrauen der Bevölkerung in eine unabhängige Gerichtsbarkeit.

IV.      Ernennung von Gerichtspräsident:innen und Art. 6 EMRK

Diese Situation gibt nicht nur aus der Sicht der Europäischen Kommission Anlass zu Bedenken, sondern läuft man auch Gefahr, Art. 6 EMRK zu verletzen. Aus Art. 6 EMRK ergibt sich, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte selbst wie auch der einzelnen Richter:innen gewährleistet sein muss. In der Entscheidung Guðmundur Andri Ástráðsson[12] hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei einer fehlerhaften Richterernennung eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gesehen. Diese Rechtsprechung wurde in weiterer Folge zur Beurteilung der Situation in Polen fortgesetzt.[13] Auch aus dieser Perspektive wäre im Sinne der Rechtsstaatlichkeit dringend ein Umdenken bei den Auswahlverfahren der Präsident:innen und Vizepräsident:innen der Verwaltungsgerichte erforderlich.

V.       Lösungsmöglichkeiten

Eine Lösung, die den europäischen Standards gerecht wird, ließe sich durchaus umsetzen, wenn auch die politischen Kräfte in sämtlichen Bundesländern von dieser Notwendigkeit zu überzeugen wären. Denkbar wäre, richterliche Kommission einzusetzen, die aus Richter:innen bestehen, die in die Personalsenaten oder von der Vollversammlung  gewählt wurden und länderübergreifend oder/und gerichtsübergreifend zusammengesetzt werden. Für ein Ernennungsverfahren in einem Bundesland könnte man eine richterliche Kommission aus Landesverwaltungsrichter:innen, gewählt für diese Funktion, aus mehreren Bundesländern zusammensetzen. Denkbar wäre auch, dass man diese richterliche Kommission aus gewählten Richter:innen aus Personalsenaten verschiedener Gerichte entsandt. Wesentlich ist, dass die zu entsendenden Richter:innen von der Kollegenschaft für die Funktion auch gewählt wurden, insbesondere dort, wo es keine Personalsenate gibt. Eine solche Kommission aus unabhängigen, gewählten Richter:innen würde ein Auswahlverfahren garantieren, das jedenfalls den europäischen Standards gerecht werden würde.

VI.      Weiterer Regelungsbedarf

Derzeit sind die Besetzungsvorschläge von gesetzlich vorgesehenen oder ad hoc einberufenen Kommissionen für die Ernennung durch die Landesregierung nicht bindend. Im zweiten Umsetzungsbericht zur vierten Evaluierungsrunde  des GRECO Berichts[14] wird neuerlich kritisiert, dass die Vorschläge der Personalausschüsse lediglich beratenden Charakter haben und werden in diesem Punkt Änderungen eingefordert. Es wäre daher auch in allen Bundesländern die bindende Wirkung der Besetzungsvorschläge für das ernennende Exekutivorgan festzuschreiben.[15]

Aufgrund der jüngsten Ereignisse bei der Besetzung des größten Gerichtes in Österreich ist es offenkundig im Sinne der Rechtsstaatlichkeit auch notwendig, Regeln vorzusehen, dass – den bindenden Besetzungsvorschlägen entsprechend – die Ernennung binnen angemessener Frist zu erfolgen hat bzw. der/die Erstgereihte nach Ablauf einer angemessenen Frist als ernannt gilt. Des Weiteren wäre auch der Rechtschutz für unterlegene Kandidat:innen zu regeln und sicherzustellen, dass Richter:innen eines anderen Gerichts, als jenes wo die Besetzung stattfindet, über diesen Rechtsschutz zu entscheiden haben.

VII.     Ausblick

Angesichts dessen, was alles in den letzten zehn Jahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Sinne der Rechtsstaatlichkeit geschafft und verbessert wurde, kann man durchaus zuversichtlich sein, dass auch in den kommenden Jahren dieser Weg weiterverfolgt werden wird und laufend Verbesserungen im Sinne unserer Demokratie vorangetrieben werden. Ein großer Fortschritt wäre gelungen, wenn wir in einem der folgenden Rechtsstaatlichkeitsberichte auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit für unsere Lösungen bei den Besetzungsverfahren der Leitungsfunktionen positiv erwähnt werden würden.


[1] Art. 134 Abs. 2 B-VG

[2] § 2 Abs. 3 K-LVwGG (Personal- und Geschäftsverteilungsausschuss), § 2 Abs. 4 NÖ LVGG (Personal- und Geschäftsverteilungsausschuss), § 18 Abs. 4 Oö LVwGG (Personalausschuss), § 3 Abs. 1 StLVwGG (Personalausschuss), § 3 Abs. 1 VGWG (Personalausschuss)

[3] § 21 Abs 4 Bgld. LVwGG, § 2 Abs. 2 TLVwGG, § 3 Abs. 4 Vrlb. LVwG-G, § 2 Abs. 5 S. LVwGG

[4] Art. 134 B-VG verlangt den Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften oder der rechts- und staatswissenschaftlichen Studien und eine fünfjährige juristische Berufserfahrung

[5] CCJE, Stellungnahme Nr. 19 (2016) zur Rolle der Gerichtspräsident:innen, Absatz 38, und Empfehlung

CM/Rec(2010)12 des Ministerkomitees des Europarats an die Mitgliedstaaten zur Unabhängigkeit, Effizienz

und Verantwortung von Richter:innen, Rn. 47

[6] Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2023 – Länderkapitel über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in Österreich, S. 7; Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2022, 2021 und 2020 – Länderkapitel zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Österreich, S. 5-6 bzw. 6 bzw. S 3-4.

[7] Staatengruppe des Europarates gegen Korruption, der Österreich seit 2006 angehört

[8]GRECO, vierte Evaluierungsrunde, Evaluierungsbericht Österreich vom 21.10.2016, 93, Empfehlung xi – keine Veränderung bei Verwaltungsgerichten beim zweiten Umsetzungsbericht vom 09.06.2023

[9] § 21 Abs. 3 Bgld. LVwGG

[10] § 2 Abs. 2 K-LvwGG

[11] § 3 Abs. 1 VGWG

[12] EGMR vom 12.03.2019, 26374/18

[13] Reczkowicz v. Poland vom 22.07.2021, 43447/19; Advance Pharma SP. Z O.O v. Poland vom 03.02.2022, 1469/20

[14] Vierte Evaluierungsgrund, zweiter Umsetzungsbericht vom 9.6.2023 von GRECO, Empfehlung xi, RZ 41ff

[15] Dies nicht nur bei der Ernennung der Präsident:innen und Vizepräsident:innen sondern bei der Ernennung aller Richter:innen.

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