Coronakrise 2022 (1): Verwaltung – Ein strukturelles Versagen

Die Pandemie hat offenbart: Eine Verwaltungsreform ist notwendig, und zwar eine echte. Eine Bestandsaufnahme.

Als das Virus kam, schlug die Stunde der Verwaltung. Sie gab dem neuen Leben Ordnung und Regeln. Tagtäglich trat die Regierung vor die Öffentlichkeit und administrierte das Virus weg. Scheinbar. Für einen Moment war Österreich vorne dabei, bei den Besten, ein „First Mover“. Das überraschte nicht, denn die Republik blickt, nicht ohne Stolz, auf eine sehr lange Historie exzellenter Verwaltung zurück, die sich auch schon im Epidemiefall bewährte. Wie es in den Jahren 1831/1932 gelang, durch staatliches Handeln die Cholera zu bewältigen, ist in historischen Büchern nachzulesen.

Dieses Selbstverständnis ist in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen. Häufiger als Hymnen auf die Verwaltung war von Überreglementierung und Beamtenstaat zu hören und zu lesen, der die Freiheit einschränke. Und auch die Politik lernte, dass der Ruf nach „Verwaltungsreformen“ auf fruchtbaren Wählerboden fällt. Dabei meinte man meist: Einsparungen. Sebastian Kurz nannte es dann auch „Sparen im System“.

Im ersten Schreckmoment im Angesicht des Virus erinnerte sich aber auch der damalige Kanzler an die Ordnungskraft staatlichen Handelns. Dann passierten zwei Irrtümer. Erstens: Das Virus lässt sich in der Realität doch nicht wegadministrieren. Zweitens: Es gibt keinen Grund mehr, sonderlich stolz auf die Verwaltung zu blicken, vor allem nicht, wenn dieser Blick nach ganz oben zielt, zur Spitze der Verwaltung.

Es ist nicht die erste große Krise, die diesen Befund erhärtet. Im Jahr 2015 war Österreich mit der Fluchtkrise konfrontiert, im Jahr danach wuchs sich die Bundespräsidentenwahl beinahe zu einer Staatskrise aus. Was beide Krisen sowie auch die Pandemie eint: Sie trafen das Land unvorbereitet, obwohl es klare Warnungen und Berichte gab, im Fall der Bundespräsidentenwahl sogar den eindeutigen Befund internationaler Wahlbeobachter, wonach Mitglieder der Wahlbehörden „entgegen den Bestimmungen das Ergebnisprotokoll im Voraus unterzeichnet hatten“, wie es hieß. Es wurde nicht reagiert. Indirekt hatte dies sogar Folgen in der Corona-Krise. Aber dazu später.

Auch im Fall der Pandemie ist dokumentiert, dass etwa die Tiroler Landessanitätsdirektion beim Ministerium seit Jahren eine Aktualisierung der Pandemiepläne urgierte. Auch eine Neufassung des veralteten Epidemiegesetzes war auf ministerieller Ebene immer wieder ein Thema, versandete aber, wie im Bericht der Ischgl-Kommission zu lesen ist, aufgrund von Regierungswechseln.

Durch ein novelliertes Epidemiegesetz wäre nicht alles anders gekommen, doch das Beispiel illustriert, dass selbst innerhalb der Verwaltungsstrukturen erlangte Erkenntnisse auf ministerieller Ebene nicht ausreichend Berücksichtigung finden.

Dabei hat das österreichische Krisen- und Katastrophenmanagement international einen ausgezeichneten Ruf; unter anderem auch, weil man in den Bundesländern dafür gut ausgestattet, geeignete Strukturen und vor allem lernende Systeme geschaffen hat. Doch das bezieht sich auf lokale Ereignisse wie Lawinen oder Hochwasser, nicht auf komplexe, gesamtstaatliche Krisen wie eine Pandemie oder eine Fluchtkrise.

Der Verwaltungsexperte Wolfgang Gratz hat sich mit diesen „ultrakomplexen Krisen“, wie er sie nennt, auseinandergesetzt und kommt zum Befund: „Das Vorhersehbare wird nicht zur Kenntnis genommen.“ Diese Krisen haben kleinen klar definierten Anfang, kein eindeutiges Ende, sie haben Auswirkungen auf viele andere gesellschaftliche Bereiche, unter anderem deshalb spielen auch parteipolitische Taktiken eine Rolle. Diese Krisen überfordern die Verwaltung.

Im Fall der Pandemie kam ein weiteres Faktum hinzu. Österreich verfügt nicht, wie etwa Deutschland, über eine Einrichtung wie das Robert-Koch-Institut. Die öffentliche Gesundheit ist unterausgestattet, unter der früheren Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) wurden zudem die Position der Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit abgeschafft und der Oberste Sanitätsrat, der den Gesundheitsminister in wissenschaftlichen Angelegenheiten berät, nicht nachbesetzt.

Der Teufelskreis der Postenbesetzungen

Diese Entscheidungen sind nicht einfach singuläre Fehlleistungen gewesen, sondern Ausdruck der generell größer gewordenen Distanz zwischen Politik und Ministerialverwaltung. Dabei ist Politikberatung eine der zentralen Aufgaben der obersten Beamtenschaft. Heute lassen sich die Ministerinnen und Minister aber weit stärker als früher von ihren über die Jahre auch deutlich größer gewordenen Büros beraten und leiten.

Im Einzelfall muss das nicht immer ein Nachteil sein, systemisch ist es einer, da Büromitarbeiter der Minister keinem Auswahlverfahren und keinen Qualifikationserfordernissen unterliegen, primär von Parteien und ihren Vorfeldorganisationen rekrutiert werden und ihre Loyalitäten auch dort zu verorten sind. Und Parteipolitik hat in der Pandemie nachweislich eine Rolle gespielt.

Dass diese engen Mitarbeiter dann oftmals in die Verwaltung wechseln werden, und zwar nicht selten gleich ganz nach oben, macht die Sache nicht besser. Die Auswertung in einer Diplomarbeit 2018 ergab, dass 39 von 67 Sektionschefs davor in einem Ministerbüro gearbeitet haben. In Zeiten wechselnder Mehrheiten wird dies von den Parteien umso intensiver betrieben, gleichzeitig steigt bei jedem Regierungswechsel damit das Misstrauen der Politik gegenüber der Beamtenschaft. Ein Teufelskreis.

Andererseits können Regierungsmitglieder ihre Büros, anders als die Verwaltungsstruktur, rasch umbauen und auf aktuelle Ereignisse reagieren, wobei es in diesem Zusammenhang einigermaßen verwunderlich ist, warum angesichts dieses Jahrhundertereignisses nicht mehr Expertise in die Büros geholt wurde.

Behörden reagierten flexibel, aber nicht einheitlich

Immerhin wurde sie in Form eines Fachbeirats und eines Prognosekonsortiums ans Gesundheitsministerium angedockt. Auch im Kanzleramt sprach man mit Experten, eher punktuell und informell, Vorarlbergs Markus Wallner beriet sich mit einem international erfahrenen Seuchenexperten, andere Landeshauptleute vertrauten auf die Landessanitätsdirektionen oder stellten sich eigene Beraterstäbe zusammen. Es beweist einerseits (notwendige) Flexibilität, andererseits herrschte Wildwuchs.

In den Phasen der akuten Krise, also immer dann, wenn sich die Wellen hoch aufbäumten und die Krankenhäuser zu überfluten drohten, funktionierte die Steuerung gar nicht einmal so schlecht. Allerdings bestand sie im Wesentlichen aus der Verhängung von Lockdowns, die mit wenigen Ausnahmen zentral geregelt wurden (und die Bundesländer ersuchten auch darum). Das mögen politisch schwierige Entscheidungen sein, in der Umsetzung sind sie vergleichsweise trivial. Die Außenwirkung war mitunter holprig, zum Beispiel als sich der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer diesen November gegen einen Lockdown stemmte und von ausreichend Intensivkapazitäten sprach, um tags darauf Alarm zu schlagen. Oder im Frühjahr 2021, als die östlichen Bundesländer beim Gesundheitsminister nachsitzen mussten, ehe sie in den Lockdown einstimmten. Epidemiologisch war der Zeitverlust von wenigen Stunden nicht relevant.

Anders aber war es in den Phasen dazwischen, wenn es darum ging, die akute Krisen überhaupt gar nicht erst entstehen zu lassen. Hier offenbarte sich eine Vielzahl an Mängeln. So wurde zwar früh erkannt, dass die Legistik des Gesundheitsministeriums durch unzählige Verordnungen überfordert war, es wurde aber nicht darauf reagiert, indem etwa Personal vom Verfassungsdienst zugeteilt wurde. Möglich wäre das. Folge war, dass Verordnungen teilweise zu spät kamen, nicht klar genug formuliert waren und die Kommunikation mit anderen Behörden fehlte. Im Sommer 2020 führte die Umsetzung der Einreiseverordnung zu einem Mega-Stau mit bis zu 15 Stunden Wartezeit.

Mittelbare Bundesverwaltung als bleibende Baustelle

Hier kommt die eingangs erwähnte Bundespräsidentschaftswahl ins Spiel. Der Bezirkshauptmann von Villach-Land war nämlich, wie andere auch, deshalb wegen falscher Beurkundung verurteilt worden. Es ist naheliegend, dass er gerade darum besonders eng am Wortlaut der Einreiseverordnung bleiben wollte, was dann zu diesem enormen Stau führte.

Die mittelbare Bundesverwaltung erwies sich aber nicht nur in diesem Fall als nur bedingt tauglich in der Pandemiesteuerung, wobei weniger die Struktur selbst als die realpolitischen Gegebenheiten das Hauptproblem sind. Beim Contact Tracing, beim Sammeln und Bereitstellen wichtiger Daten oder beim geplanten Ausbau der PCR-Tests waren etliche Bundesländer säumig. Ein Minister könnte darauf mit einer Weisung an einen Landeshauptmann reagieren, so sieht es die Verfassung (Artikel 14, Absatz 8) vor. Von dieser nuklearen Option sahen die Gesundheitsminister ab. Es gab jedoch nicht einmal Vorgaben, beispielsweise zur Erfüllung von Impfquoten, zur Testkapazität oder zum Kontaktpersonenmanagement.

Erst jetzt wurden daraus die Lehren mit der gesamtstaatlichen Krisenkoordination (Gecko) gezogen. Man kann dies aber auch als Kniefall vor der österreichischen Realverfassung sehen. Strukturell ist die Republik dadurch nicht resilienter geworden, es ist vielmehr ein Versuch, die Bundesländer etwas enger führen zu können, die für die Umsetzung der meisten Maßnahmen zuständig sind. Das bei dem, was herauskam, zwischen den Ländern teilweise große Unterschiede bestanden, ist nicht akzeptabel und wirft kein gutes Licht auf manche Landesverwaltungen.

Für die Corona-Pandemie ist zu hoffen, dass die neue Konstruktion hilfreich ist, aber das kommende Jahr sollte auch dazu genutzt werden, die gesamte Verwaltungssteuerung während der Corona-Krise zu analysieren, sei es im Rahmen einer Enquete im Parlament, in einem U-Ausschuss oder durch eine Kommission mit klar definiertem Auftrag wie nach dem Ischgl-Desaster. Klar ist: Anders als bei der Cholera im 19. Jahrhundert würden Bücher über die Verwaltung weniger ruhmreich sein.

Hier geht’s zum Beitrag in der Wiener Zeitung …

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