Verfassungsrechtler sind sich über die am Dienstag in Kraft tretende „COVID-19-Notmaßnahmenverordnung“, die Österreich einen neuerlichen Lockdown bringt, einigermaßen uneins. Vor allem die darin enthaltenen Kontaktbeschränkungen werden unterschiedlich bewertet. Einig ist man sich hingegen, dass verpflichtende Massentests einer gesetzlichen Grundlage bedürften.
Während die am Sonntag veröffentlichte Verordnung vom früheren Dekan der juridischen Fakultät der Universität Wien, Heinz Mayer, als im Großen und Ganzen für ausreichend bestimmt gesehen wird, äußerte Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk gegenüber der APA Bedenken. „Eine Regelung dieser Tragweite und Bedeutung hätte sich mehr an juristischer Eindeutigkeit verdient“, so Funk.
Seiner Einschätzung nach sei die Verordnung „alles andere als ausreichend bestimmt“ und sorge in wesentlichen Schlüsselpunkten für Unsicherheit bzw. für „erwartbare Schwierigkeiten“ bei der Anwendung. Im Besonderen richtet sich Funks Kritik auf die Ausgangsregelung und die darin festgeschriebenen Bestimmung über Kontaktbeschränkungen. Während die Formulierung „nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Lebenspartner“ noch „einigermaßen eingrenzbar“ sei, werde es bei den „engsten Angehörigen“ schon schwieriger, so Funk: „Wer ist davon umfasst, wer ist dazu zu rechnen. Ich frage mich, warum man das nicht gleich ins Gesetz geschrieben hat.“
Ein „Highlight an Unbestimmtheit“ sei aber die Bestimmung „einzelne wichtige Bezugspersonen, mit denen in der Regel mehrmals wöchentlich Kontakt gepflegt wird“. Diese Regelung sei „sogar alltagssprachlich unverständlich“. Offen bleibe nicht nur, wer als „wichtige Bezugsperson“ gemeint ist und wer das definiert, sondern auch „einzelne“ ist ein höchst unbestimmter Begriff und in dieser Form nicht tragbar. Denn eigentlich sei vom Grundsatz auszugehen, dass je strikter und strenger Eingriffe in die persönliche Freiheit sein, desto eindeutiger müssen die Regelungen sein, argumentierte Funk: „Und das wird hier in eklatanter Art und Weise verletzt.“
Für Funk sei nicht die entscheidende Frage, ob die Verordnung vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) halten werde, denn diese Entscheidung würde erste zwei oder drei Monate später kommen. Entscheidender Aspekt sei, dass diese Regelungen in konsequenter Weise von der Polizei durchgesetzt werden müssen. Die Polizei aber habe dafür „keine klaren Direktiven oder Kriterien in Händen“, bemängelte Funk.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) präzisierte am Montag bei einer Pressekonferenz, dass man Personen weiter sehen dürfe, wenn eine „Kontinuität des Kontakts“ gegeben sei. Auch Alleinstehende bräuchten die Möglichkeit, sich mit jemanden auszutauschen.
Verfassungsjurist Mayer sah im Gegensatz zu seinem Kollegen Funk wenig Unbestimmtheiten. Ihm sei bei grober Durchsicht nichts aufgefallen, was rechtswidrig sein könnte, sagte er auf APA-Anfrage. Freilich könne man im Einzelfall zu der Ansicht kommen, dass eine Bestimmung etwas überschießend sein könnte. Dies müsse aber dann in der konkreten Situation bewertet werden. „Vorab“ sei ihm jedenfalls nichts unter gekommen.
Auch die Kontaktbeschränkungen sind aus Mayers Sicht „ausreichend bestimmt“. „Einzeln“ heißt einer nach dem anderen, und eben nicht in Gruppen, argumentierte der Verfassungsrechtler. Und die Definition der Bezugsperson müsse im Einzelfall gesehen werde. „Wenn man sehr streng ist, kann man zu einem anderen Ergebnis kommen“, so Mayer, aber auch der VfGH habe im Juli zu verstehen gegeben, dass er „in solchen Fällen einer dynamischen Situation“ wie einer Pandemie durchaus Verständnis für „weitere Formulierungen“ habe, so Mayer.
Die Schließung der Schulen könnte laut Mayer jedoch „unverhältnismäßig“ sein. Schließlich hätten weitgehend alle Mediziner, Virologen, Infektiologen und Experten sich dafür ausgesprochen, dass die Schulen offen bleiben sollten. Derartige Maßnahmen müssen effektiv, aber sie dürfen nicht überschießend sein, erläuterte Mayer. Es müsse also zwischen der Eingriffsintensität, etwaigen „Kollateralschäden“ und der Wirkung der Maßnahme abgewogen werden. Nur die Schulen zu schließen, weil alles andere geschlossen werde, sei keine hinreichende Begründung. Daher könnten sich Betroffene an den VfGH wenden, da die Schließung wohl unverhältnismäßig sei und das Recht auf Bildung verletzt werde.
Einig waren sich die Verfassungsjuristen darin, dass es für verpflichtende Massentests wohl eine gesetzlich Grundlage bräuchte. Man müsste sich anschauen, ob das Epidemiegesetz das hergebe, so Mayer. Früher habe es ja etwa auch eine Impfpflicht gegen Pocken gegeben. Sowohl Anschober als auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatten am Montag indes die Freiwilligkeit derartiger Testungen betont.
Für Peter Bußjäger, Uni-Professor am Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre in Innsbruck, bräuchte es jedenfalls eine hinreichende gesetzliche, verfassungskonforme Grundlage, sollten die Tests verpflichtend sein, wie er auf Twitter darlegte. Zwar wären Screening-Programme für einzelne Berufsgruppen möglich, aber wie im Epidemiegesetz festgeschrieben ist die Teilnahme nur mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Personen gemäß Datenschutz-Grundverordnung zulässig.
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Hier geht’s zum Podcast von Ars Boni 77 – COVID-19-Notsituationsverordnung mit Univ.-Prof. Dr. Karl Stöger. Karl Stöger, Leiter der Abteilung Medizinrecht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien …