Europas Menschenrechte werden 70 – und werfen Licht und Schatten

Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt als revolutionär. In vielem hält sie allerdings nicht, was sie verspricht.

(Gastkommentar von Univ.Prof. Hilpold, Universität Innsbruck, in der Wiener Zeitung)

Am 4. November 2020 jährt sich zum 70. Mal die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Rom. Im Jahr 1950 war dies ein geradezu revolutionäres Dokument – die Antithese zu den Verbrechen der faschistisch-nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die erst fünf Jahre davor ihr Ende gefunden haben. Die internationale Ausstrahlungskraft der EMRK war und ist enorm.

Die EMRK war stets das Herzstück des Europarats-System und hat einerseits innerhalb des Europarats befruchtend für die Schaffung weiterer, spezieller Schutzregelungen und -verfahren gedient und andererseits im Verhältnis zum UN-Menschenrechtsschutzsystem die Rolle wechselseitig stimulierender Konkurrenz gespielt: Fortschritte im einen Schutzsystem wurden vom anderen gerne übernommen und zu übertrumpfen versucht – zum Vorteil des Menschenrechtsschutzstandards weltweit.

Als besonders effizient hat sich auch die Fortentwicklung dieses Systems über Zusatzprotokolle erwiesen, wodurch eine laufende Anpassung und Verbesserung des Verfahrens sowie der Substanz der gewährten Rechte erzielt werden konnte. Besonders hervorzuheben ist das 11. Zusatzprotokoll, das zum 1. November 1998 auch eine individuelle Beschwerdemöglichkeit an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGHM) schuf.

So sehr dieses Normenwerk somit als Erfolg gewertet werden kann, so sind gleichzeitig auch kritische Worte angebracht, da dieses System in vielem nicht mehr hält, was es verspricht und wofür es in der breiten Bevölkerung steht. Insbesondere hat sich dringender Reformbedarf gezeigt, der nicht anderen Ländern überantwortet werden kann und schon gar nicht dem EMRK-System selbst: Jeder einzelne Vertragsstaat wäre selbst gehalten, Anstrengungen für Wiederherstellung der Funktionalität dieses Systems zu unternehmen und entsprechende Reformen anzuregen und mitzutragen.

Wo liegt das Hauptproblem im EMRK-System? Sicherlich in der verschwindend geringen Zahl an Beschwerden, die für zulässig erklärt werden. Beispielhaft die österreichische Situation: Im Jahr 2018 wurden 238 Beschwerden aus Österreich eingebracht. 227 wurden schon vom Einzelrichter im Vorverfahren als unzulässig erklärt. Es wurden 8 Urteile erlassen. Im Jahr 2019 wurden nur mehr 198 Beschwerden aus Österreich eingebracht, 182 wurden vom Einzelrichter für unzulässig erklärt, es ergingen ganze 5 Urteile zu österreichischen Beschwerden.

Hier den ganzen Beitrag in der Wiener Zeitung lesen…

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