Im Begutachtungsverfahren zur Novellierung des COVID-19-Maßnahmengesetzes übt der Dachverband der Verwaltungsrichter (DVVR) scharfe Kritik an den geplanten Änderungen. Insbesondere das Fehlen eines effektiven gerichtlichen Rechtschutzes gegen mögliche behördliche Maßnahmen wird gerügt.
Fehlende Offenlegung der Entscheidungsgrundlagen
So ermögliche der Gesetzgeber mit der Neufassung des COVID-19-Maßnahmengesetzes eine Ausweitung der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bis hin zu einem generellen Ausgangsverbot (Ausgangssperre). Diese Maßnahmen könnten – laut Entwurf – auf Basis des Wissenstandes über die Verbreitung von COVID-19 erforderlich sein. Welches fakten-/evidenzbasierte Wissen damit gemeint ist, bleibe ebenso offen wie die Frage, welche Beschränkungen überhaupt (gesundheitspolitisch) erforderlich sind. So sei nach der Datenlage des Gesundheitsressorts schon die Beschränkung des Betretens bestimmter Orte in Verbindung mit der Einhaltung von Abstandsregeln und Hygiene eine ausreichende Maßnahme gewesen, da der Höchststand an Erkrankungen in Österreich bereits Ende März überwunden war.
Verlagerung der Staatsgewalt hin zur Exekutive
Jedenfalls habe die Ausweitung der Ermächtigung an die Exekutive zu unmittelbar freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bis hin zu einem generellen Ausgangsverbot (Ausgangssperre) durch Verordnung zumindest in der Zweiten Republik kein historisches Vorbild und stelle Neuland dar. Rechtspolitisch liege darin eine massive Verlagerung der Staatsgewalt hin zur Exekutive. Mit einer solchen Verlagerung habe in einem Rechtsstaat der Rechtsschutz Schritt zu halten, wolle man nicht in Kauf nehmen, dass ein Federstrich der Exekutive unmittelbar Millionen von Bürgern auf Wochen oder Monate flächendeckend die Freiheit beschränke oder nehme.
Einstweiliger Rechtsschutz durch Verfassungsgerichtshof
Der Dachverband der Verwaltungsrichter wiederhole daher seine Forderung, dass der Verfassungsgerichtshof nach dem Vorbild anderer Verfassungsgerichte in Europa die Möglichkeit zu einstweiligen Maßnahmen und zu einstweiligem Rechtsschutz auch im Rahmen des Normprüfungsverfahrens nach Art. 139 B-VG erhält.
„Kaskadensystem“ der Beschränkungen praxisfern
Kritisiert wird auch das im Entwurf vorgesehene „Kaskadensystems“ regional abgestufter Beschränkungen. Die vorgesehene Abgrenzung der Zuständigkeiten des Bundesministers von jenen der Landehauptleute und der Bezirksverwaltungsbehörden nach dem Kriterium der „Strenge“ fehle die erforderliche Konkretisierung. Es sei völlig offen, welche Kriterien mit welchem Gewicht bei einem Vergleich der „Strenge“ von Regelungen berücksichtigt werden sollen.
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Siehe dazu auch: Verfassungsausschuss vertagt Antrag zu Eilverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
Und: Datenbank über Rechtsakte und Gerichtsentscheidungen zu Corona-Maßnahmen (Deutschland)