Verfassungsgerichtshof hebt Teile des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes auf

Der Verfassungsgerichtshof hat über Antrag von 21 Mitgliedern des Bundesrates (SPÖ) das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz geprüft und wesentliche Teile des neuen Gesetzes aufgehoben.

Der Gerichtshof sieht die Bedarfsdeckung bei Mehrkindfamilien nicht gewährleistet, erachtet den verpflichtenden Nachweis qualifizierter Deutsch- oder Englischkenntnisse als verfassungswidrig und sieht in der Verpflichtung zur Übermittlung personenbezogener Daten einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz.

In der Erlassung eines Grundsatzgesetzes sieht der Gerichtshof – erwartungsgemäß – keinen unzulässigen Eingriff in die Zuständigkeit der Länder.

„Schlechterstellung von Mehrkindfamilien“

In der Regelung zu den Höchstsätzen für Kinder sieht der VfGH eine „sachlich nicht gerechtfertigte und daher verfassungswidrige Schlechterstellung von Mehrkindfamilien“. Das Grundsatzgesetz sieht vor, dass der Höchstsatz der Sozialhilfeleistung für das erste Kind 25 Prozent, für das zweite Kind 15 Prozent und für das dritte und jedes weitere Kind fünf Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes beträgt.

Diese Regelung könne dazu führen, „dass der notwendige Lebensunterhalt bei Mehrkindfamilien nicht mehr gewährleistet ist“, heißt es im Entscheid. Gegen die Höchstsätze für Erwachsene, die sich am System der Ausgleichszulage orientieren, haben die Verfassungshüter hingegen keine Bedenken.

Erkrankungen bei Lernfähigkeit nicht mitgedacht

Als verfassungswidrig beurteilt der VfGH auch, dass im Grundsatzgesetz der volle Bezug der Sozialhilfe an den Nachweis von Sprachkenntnissen geknüpft ist. Wer nicht nachweist, Deutschkenntnisse auf Niveau B1 oder Englischkenntnisse auf Niveau C1 zu erreichen, dem stehen laut dem Grundsatzgesetz nur 65 Prozent der regulären Leistung zu. Die Differenz von mehr als 300 Euro auf die volle Geldleistung wurde im Gesetz als Sachleistung zum „Arbeitsqualifizierungsbonus für Vermittelbarkeit“ gerechtfertigt. Mit diesem Betrag sollten also Sprachkurse finanziert werden.

Der Grundsatzgesetzgeber habe „schon deshalb eine unsachliche Regelung getroffen, weil keine Gründe ersichtlich sind, weshalb ausschließlich bei Deutsch- und Englischkenntnissen auf diesem hohen Niveau eine Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt anzunehmen sein soll“, heißt es im VfGH-Erkenntnis. „Es ist offenkundig, dass für viele Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt weder Deutsch auf B1-Niveau noch Englisch auf C1-Niveau erforderlich sind.“

Auch lasse der Grundsatzgesetzgeber außer Acht, „dass Personen aus mannigfaltigen Gründen (Lern- und Leseschwächen, Erkrankungen, Analphabetismus uvm.) nicht in der Lage sein können, ein derart hohes Sprachniveau zu erreichen, aber dennoch am Arbeitsmarkt vermittelbar sein können“. Diese Regelung verstoße deshalb gegen den Gleichheitsgrundsatz, da es viele Beschäftigungsmöglichkeiten gebe, „für die weder Deutsch- noch Englischkenntnisse auf diesem Niveau erforderlich sind“.

Übermittlung von Personendaten verstößt gegen Grundrecht

Auch im Sozialhilfe-Statistikgesetz sehen die Verfassungshüter eine Verfassungswidrigkeit: Die Verpflichtung zur Übermittlung personenbezogener Daten verstößt demnach gegen das Grundrecht auf Datenschutz.

Das Grundgesetz sieht vor, dass „sämtliche Behörden“ verpflichtet sind, den Ländern „die zu Zwecken der Aufrechterhaltung und Vollziehung des österreichischen Sozialhilfewesens erforderlichen Daten“ elektronisch zur Verfügung zu stellen. Diese Regelung lasse offen, welche Behörden im Einzelnen welche Daten zu übermitteln haben, so der VfGH. „Sie verstößt daher gegen § 1 des Datenschutzgesetzes, wonach Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz nur auf Grund von Gesetzen erfolgen dürfen, die ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar, regeln, unter welchen Voraussetzungen die Verarbeitung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben erlaubt ist.“

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