Das LVwG Steiermark hegte berechtigte Zweifel an der Vereinbarkeit der Strafbestimmungen des AVRAG im Zusammenhang mit der Arbeitskräftüberlassung, entschied der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren.
Auch wenn den Gerichten ein gewisser Ermessensspielraum bei der Strafbemessung eingeräumt wird, wird dieser jedoch durch das Zusammenspiel von Kumulationsprinzip, strafsatzändernden Umständen und hohen Mindeststrafen so stark eingeschränkt, dass sich selbst bei Verhängung der niedrigsten möglichen Strafe eine sehr hohe Gesamtstrafe ergibt. Dies ist mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen nicht vereinbar.
Weiters wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die Möglichkeit der Verhängung einer mehrjährigen Ersatzfreiheitsstrafe im Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe für ein fahrlässig begangenes Verwaltungsdelikt mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Schließlich wurde auch der Beschwerdekostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Geldstrafe für den Fall der Abweisung der Beschwerde gemäß § 52 Abs. 2 VwGVG in Frage gestellt. Auch diese Bedenken teilt der Gerichtshof.
Der EuGH sieht somit eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße, die in der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und die Bereithaltung von Lohnunterlagen bestehen, da diese die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die für jeden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20% der verhängten Geldstrafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden. Eine wirksame Durchsetzung der Verpflichtungen, deren Nichteinhaltung durch diese Regelung geahndet wird, könnte auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen wie der Auferlegung von Geldstrafen in geringerer Höhe oder einer Höchstgrenze für solche Strafen gewährleistet werden, und ohne sie zwangsläufig mit Ersatzfreiheitsstrafen zu verknüpfen.
Somit ist laut EuGH davon auszugehen, dass eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche über die Grenzen dessen hinausgeht, was zur Gewährleistung der Einhaltung der arbeitsrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und die Bereithaltung von Lohnunterlagen sowie zur Sicherstellung der Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist. Damit steht sie mit Art 56 AEUV nicht im Einklang.
Hintergrund des Verfahrens
Am 23. März 2014 kam es im Werk der Zellstoff Pöls AG in Pöls (Österreich) zu einer Explosion, bei der große Teile eines Laugenkessels zerstört wurden. Das in Österreich ansässige Unternehmen Andritz AG wurde mit den Arbeiten zur Sanierung und Wiederinbetriebnahme der Kesselanlage. Diese am 27. August 2014 die in Kroatien ansässige Firma Bilfinger Duro Dakovic Montaza d.o.o. (im Folgenden: Bilfinger) mit der Demontage und der mechanischen Montage des Kessels. Diese entsandte zur Durchführung der Arbeiten Arbeitnehmer nach Österreich, für die von den zuständigen österreichischen Behörden Entsendebestätigungen ausgestellt wurden.
Die Firma Bilfinger konnte den zum 25. August 2015 geplanten Fertigstellungstermin nicht einhalten, sodass vereinbart wurde, dass die ursprünglich an diese Firma vergebenen Arbeiten ersatzweise von der in Kroatien ansässigen Firma Brodmont d.o.o. (im Folgenden: Brodmont) fertigstellen zu lassen. Ein entsprechender Vertrag wurde am 11. September 2015 abgeschlossen. Daraufhin waren 217 Arbeitskräfte auf der betreffenden Baustelle für Brodmont im Einsatz, wobei diese Gesellschaft sämtliche dort von Bilfinger beschäftigten Arbeiter übernahm. Bei den von der Finanzpolizei auf der Baustelle durchgeführten Kontrollen konnten nicht die vollständigen Lohnunterlagen aller 217 Arbeiter vorgelegt werden. Eine Unterentlohnung wurde nicht vorgeworfen.
Mit Bescheid vom 19. April 2017 verhängte die BH Murtal eine Geldstrafe in Höhe von insgesamt 3,255.000 Euro gegen den Geschäftsführer von Brodmont, da er gegen die in § 7d AVRAG vorgesehene Verpflichtung bei grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassungen als Überlasserin der 217 Arbeitskräfte verstoßen zu habe, der Beschäftigerin Andritz die Lohnunterlagen dieser Arbeitskräfte bereitzustellen.
Weiters wurden mit Bescheiden vom 25. April und vom 5. Mai 2017 Geldstrafen von 2,604.000 Euro und 2, 400.000 Euro gegen jedes der vier Vorstandsmitglieder von Andritz wegen Nichteinhaltung bestimmter Pflichten nach § 7d AVRAG und § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a in Verbindung mit § 3 Abs. 1 AuslBG hinsichtlich der Bereithaltung von Lohnunterlagen durch diese Gesellschaft als Beschäftigerin der genannten Arbeiter sowie der Einholung von Beschäftigungsbewilligungen für 200 kroatische, serbische und bosnische Arbeitskräfte verhängt. Im Fall der Uneinbringlichkeit wären dies Ersatzfreiheitsstrafen von 1.736 und 1.600 Tagen. Die von den Verwaltungsstrafen betroffenen Personen haben gegen die Bescheide Beschwerden beim vorlegenden Landesverwaltungsgericht Steiermark erhoben.