Unabhängige Behörde zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gefordert

foto: heribert corn

Nach den Fällen von Polizeigewalt bei einer Klimaaktion hat das Innenministerium eine „lückenlose Aufarbeitung der Vorgänge“ zugesichert. Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak fordert aber eine unabhängige Untersuchungsbehörde.

Bereits unmittelbar nach den Vorfällen seien die strafrechtlichen Ermittlungen durch einen Anlassbericht der Landespolizeidirektion selbst eingeleitet worden, betonte das Innenministerium in einer Aussendung. Außerdem verwies das Innenministerium darauf, dass die Aufarbeitung von der Justiz und zum anderen durch die Dienstbehörde zu erfolgen hat.

Ermittlungen gegen vier Polizisten

„Die Untersuchung von behaupteten oder evidenten Misshandlungsvorwürfen erfolgt auf Grundlage eines erst im Jahr 2018 im Zusammenwirken mit der Justiz und NGOs festgelegten Vorgehens, durch das bereits in der Vergangenheit die umfassende Aufarbeitung derartiger Vorwürfe sichergestellt worden ist“, hieß es in der Aussendung. Dem Referat für besondere Ermittlungen obliege es, unter der Leitung und im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien Beweismaterial (u.a. Videoaufzeichnungen) sicherzustellen und Erhebungen zu tätigen. Die Staatsanwaltschaft habe bereits Beweismittel erhalten und Vernehmungen durchgeführt, betonte das Innenministerium.

Ermittelt wird gegen insgesamt vier Beamte. Ein Polizist, der mehrfach auf einen am Boden fixierten Demonstranten eingeschlagen haben soll, wurde versetzt, weitere dienstrechtliche Maßnahmen sind für die Wiener Polizei vorerst nicht erforderlich – mehr dazu in Videos: Ermittlungen gegen vier Polizisten. „Nach Maßgabe der Ergebnisse der zügigen weiteren Ermittlungen werden unverzüglich die allenfalls zusätzlich erforderlichen dienstrechtlichen Konsequenzen gezogen werden“, schrieb das Innenministerium in der Aussendung.

Nowak: Polizei dürfe „nicht selbst provozieren“

Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak forderte am Donnerstag allerdings die Einrichtung einer unabhängigen Behörde zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei. „Die Videos an sich sind kein Beweis für eine unmenschliche Behandlung, aber sie sind ein Indiz dafür, dass etwas falsch gelaufen sein könnte“, sagte Nowak. Die Polizei dürfe bei Einsätzen „nicht selbst provozieren und sich nicht provozieren lassen“. „Das unterscheidet eine professionelle Polizei in einem Rechtsstaat von einer nicht professionellen“, sagte der Menschenrechtsexperte.

Neue Polizeikultur etablieren

Der Gründer des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte forderte, dass Gewaltvorwürfe gegen Polizisten „so schnell wie möglich und so effizient wie möglich untersucht werden müssen“. Damit könnte auch „eine ganz andere Polizeikultur etabliert werden“, sagte der Experte. Die Erstuntersuchung wurde „wieder durch die Polizei gemacht, auch wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren an sich zieht, reicht das nicht und es ist viel zu spät reagiert worden“, kritisierte der Jurist.

„Wenn es einen Polizeieinsatz gibt, wo Gewalt ausgeübt wurde, muss es sofort unabhängige, externe Untersuchungen geben. Eine solche spezielle Einheit muss außerhalb der Weisung des Innenministeriums angesiedelt sein, gleichzeitig aber alle polizeiliche Funktionen haben und auch Beamte festnehmen dürfen, bevor sie sich untereinander verabreden“, verlangte Nowak. Eine solche Behörde fordern Experten seit Jahrzehnten.

Der Jurist war selbst zwölf Jahre lang Leiter einer unabhängigen Menschenrechtskommission im österreichischen Innenministerium, bis diese der Volksanwaltschaft unterstellt wurde. Laut ihm gibt es bereits ein Konzept für eine unabhängige Behörde, dieses müsste nur umgesetzt werden. „Unter der Kurz-Regierung ist das eingeschlafen“, sagte Nowak.

„Video kein endgültiger Beweis“

Von einem Vorfall, wo ein Polizist auf einen am Boden fixierten Mann mehrmals eingeschlagen haben soll, gibt es ein Video, das laut Nowak „natürlich verstörend ist“. Allerdings ist „das sicherlich kein endgültiger Beweis, man sieht zu wenig“, sagte der Menschenrechtler. Prinzipiell gelte aber, „sobald eine Person fixiert ist, gibt es keinen Grund mehr, auf sie einzuschlagen“.

Einer der Demonstranten wird fast von einem Polizeiauto überrollt

Weitere Videos zeigen, wie ein deutscher Demonstrant von zwei Beamten unter einem Polizeiwagen fixiert wurde. Dieser fuhr wenig später los, im letzten Moment konnten die beiden Polizisten den Mann nach oben reißen und so verhindern, dass sein Kopf überrollt wurde. Hier habe definitiv „jemand einen Fehler gemacht“, sagte Nowak. „Es wäre aber absurd zu sagen, man wollte den wirklich überfahren.“

Kritik an Polizeispitze

Laut dem Juristen gibt es „nicht so viele Misshandlungsvorwürfe in Österreich, es sind wenige hundert pro Jahr, viele davon nicht begründet. Wirklich relevant sind vielleicht hundert im Jahr“, sagte Nowak. Ein Vorwurf der Polizeispitze war unter anderem, dass die Demonstranten nicht kooperiert haben, ihre Vorwürfe nicht untersucht werden können, weil diese anonym geäußert wurden und niemand Anzeige erstattet hat.

Gäbe es die unabhängige Behörde, „bin ich sicher, dass diese Personen sehr wohl kooperieren, wenn nicht sofort die Angst dahinter stehen muss, dass sie selbst eine Verleumdungsanzeige bekommen“, sagte der Menschenrechtsexperte.

Nowak kritisierte auch die Reaktion der Polizeiführung auf die Vorwürfe. „Es wird immer sofort geblockt, gesagt, die Anschuldigungen sind falsch. Aber es ist ja auch nicht im Interesse der Polizei, dass sie nicht den Korpsgeist vertritt und sofort bis hinauf zum Präsidenten gesagt wird, es ist alles okay. Wenn es einen Fall gibt, wo sich jemand falsch verhalten hat, muss er zur Verantwortung gezogen werden, damit nicht die ganze Polizei unter Verdacht gerät“, sagte Nowak. „Immer aber gleich mit der Strafrechtskeule zu kommen ist auch falsch. Es muss niederschwelliger angesetzt werden, damit die Polizei aus ihren Fehlern lernen kann“, forderte der Jurist.

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Siehe dazu auch:

Gibt es eine gewaltfördernde Polizeikultur?

 

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