Elisabeth Lovrek, neue Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, sieht das Höchstgericht als Leuchtturm der Rechtsprechung, wundert sich über politische Vorgänge und sieht keine Sorgfaltspflicht amerikanischen Stils.
Die Wiener Zivilrichterin Elisabeth Lovrek (60) war seit 2015 Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH) und steht diesem seit Juli 2018 vor. Im Zuge ihres ersten Tirol-Besuchs sprach sie mit der TT.
Die Justiz scheint in Österreich immer unruhigere Zeiten zu erleben. Nach immer neuen Einsparungen, den Turbulenzen in der BVT-Affäre postuliert nun Innenminister Herbert Kickl, dass „das Recht der Politik und nicht die Politik dem Recht zu folgen“ habe. Eine gezielte Provokation?
Elisabeth Lovrek: Sagen wir es so. Jedes Schulkind und auch der Innenminister weiß, dass man Gesetze mit Mehrheiten im Nationalrat ändern kann. Da dies so eine Binsenweisheit ist, wollte er das wohl nicht mitteilen. Versteht man die Aussage als Aufforderung an Vollziehung und Rechtsprechung, Gesetze auf Zuruf der Politik auszulegen, ist sie rechtsstaatlich äußerst problematisch. Geltende Gesetze sind zu befolgen, sie sind nicht nach den Wünschen der Politik kreativ auslegbar.
Gilt das auch für die von Kickl und Teilen der FPÖ angezweifelte Menschenrechtskonvention?
Lovrek: Dazu verliere ich nicht einmal einen Atemzug. Die Europäische Menschenrechtskonvention beruht nicht nur auf einem europaweiten Grundkonsens, sondern ist auch Teil unserer Verfassung.
An der Gewaltenteilung unseres Staates wird aber immer häufiger gerüttelt – Stichwort BVT-Affäre. Gibt der direkte Einfluss des Innenministeriums auf eine einfache Staatsanwältin und die nachfolgende Hausdurchsuchung in einer für die Republik hochsensiblen Institution wie dem Verfassungsschutz nicht zu denken?
Lovrek: Ich halte die Vorgangsweise für bedenklich. Insbesondere, wenn man über die laufenden Kontakte des Innenministeriums mit der zuständigen Staatsanwältin erfährt – und all dies, ohne das Justizministerium zu informieren. Das hat den Ruf des BVT beschädigt.
Die Verfassungsgerichtshofpräsidenten nehmen sich zu politischen Vorgängen oft kein Blatt vor den Mund. In welchem Umfang wollen Sie sich zu Wort melden?
Lovrek: Der OGH hat Leitfunktion in der Rechtsprechung und muss Rechtssicherheit gewährleisten. In die Tagespolitik würde ich mich nur zu Angelegenheiten mit justizpolitischem, rechtsstaatlichem Bezug äußern. Alles andere ist nicht Aufgabe der Gerichtsbarkeit.
Apropos Justizpolitisches: Ist der „Sparstift“ der Regierung im Bereich der Gerichte wirklich bereits überspitzt?
Lovrek: Speziell im nichtrichterlichen Bereich ist die Situation der Gerichte mittlerweile gravierend. So wird man Verfahren in der gewohnten Qualität auf Dauer wohl schwer weiterführen können. Aus Solidarität haben wir beim OGH nun auf zwei nichtrichterliche Stellen zu anderer Verwendung verzichtet.
Andererseits sind die Anfallszahlen von Verfahren – speziell im Zivilbereich – seit Jahren stark rückläufig. So stark, dass auch schon wieder über das derzeitige Justizsystem mit seinen drei Instanzenebenen diskutiert wird.
Lovrek: Über den Instanzenzug kann man natürlich immer diskutieren. Das derzeitige System hat sich aber bewährt. In der Regel gibt es ja ohnehin nur zwei Instanzen, da der OGH einzig bei einer für die Rechtseinheit erheblichen Rechtsfrage angerufen werden kann. Ein nachvollziehbarer Grund für den Rückgang im Klagswesen könnte in unseren hohen Gerichtsgebühren begründet sein, weniger in der Verfahrensdauer, da liegen wir in Österreich in der Erledigungszeit nämlich international unter den Besten. In Bereichen, wo man sich der Justiz schwer entziehen kann, wie etwa im Familienrecht, sind die Anfallszahlen nicht zurückgegangen.
Stichwort Rechtsprechung: Ist es noch zeitgemäß, dass bei Urteilen die Qualitätskontrolle im Grunde über Rechtsmittel stattfindet?
Lovrek: Die Qualität der heimischen Rechtsprechung ist sehr gut. In der Öffentlichkeit fallen halt immer die – natürlich auch – vorkommenden „Ausreißer“ auf, die dann im Rechtsmittelweg korrigiert werden können. Bei Kleinstgerichten kann allerdings der Betrieb schon stillstehen, wenn der Rechtspfleger einmal krank und kein Ersatz da ist. In geografisch abgelegenen Regionen sollten Bürger jedoch weiter Zugang zu „ihrem“ Bezirksgericht haben.
Als Senatspräsidentin in Zivilfragen am Höchstgericht prägen Sie die Rechtsprechung zu Sorgfaltspflichten. Blühen uns schön langsam amerikanische Verhältnisse?
Lovrek: Wir sind nicht in Amerika. Wir haben ein ausgewogenes System. Aber es versuchen schon immer mehr Geschädigte, an Schadenersatz zu kommen.
Wo liegt der Maßstab?
Lovrek: Das sind letztlich Wertungsfragen. Eine gewisse Entscheidungsbefugnis, wie viel Risiko man eingehen will, sollte den Menschen schon belassen werden. Wie bei allem ist das eine Frage der Vernunft.