EuGH zum Prüfungsschema der Unabhängigkeit der Justiz und der Richter in Polen

Im Urteil vom 25.07.2018 führte der EuGH aufgrund des irischen Vorabentscheidungsverfahrens aus, wie die Unabhängigkeit der Justiz und der Richter zu prüfen ist, um beurteilen zu können, ob die betroffene Person einer echten Gefahr für ein fairen Verfahren wegen der Mängel des polnischen Justizsystems konkret ausgesetzt ist und daher der Europäische Haftbefehl nicht zu vollstrecken ist.

Eine Justizbehörde, die zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls aufgerufen ist, darf diesen nicht vollstrecken, wenn ihrer Ansicht nach für die betroffene Person wegen Mängeln, die die Unabhängigkeit der Justiz in dem Mitgliedstaat, der den Haftbefehl ausgestellt hat, beeinträchtigen können, die Gefahr bestünde, dass das Grundrecht dieser Person auf ein unabhängiges Gericht verletzt und damit der Wesensgehalt ihres Grundrechts auf ein faires Verfahren angetastet wird.

Der Hintergrund des Vorabenscheidungsverfahren ist ein polnischer Staatsangehöriger, gegen den von den polnischen Justizbehörden drei Europäische Haftbefehle zum Zweck der Verfolgung illegalen Drogenhandels erlassen wurden, und am 5. Mai 2017 in Irland verhaftet wurde. Er widersprach seiner Übergabe an die polnischen Behörden, weil wegen der Reformen des polnischen Justizsystems die echte Gefahr bestehe, dass er in Polen kein faires Verfahren erhalte.

Zweistufige Prüfung der Gefährung

Bereits in seinem Urteil in der verbundenen Rechtssache Aranyosi und Căldăraru (C-404/15 und C-659/15 PPU) entschied der Gerichtshof, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls aufzuschieben ist, wenn die vollstreckende Justizbehörde feststellt, dass für die Person, gegen die sich der Haftbefehl richtet, eine echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne der Charta der Grundrechte der Europäischen Union besteht. Ein solcher Aufschub ist allerdings erst nach einer zweistufigen Prüfung möglich. In einem ersten Schritt muss die vollstreckende Justizbehörde feststellen, dass in dem Mitgliedstaat, der den Haftbefehl ausgestellt hat, namentlich wegen systemischer Mängel eine echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung besteht. In einem zweiten Schritt muss sich diese Behörde vergewissern, dass es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die von dem Europäischen Haftbefehl betroffene Person einer solchen Gefahr ausgesetzt sein wird. Das Bestehen systemischer Mängel bedeutet nämlich nicht zwingend, dass in einem konkreten Fall die betroffene Person im Fall ihrer Übergabe einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.

Der Gerichtshof sah die Information der Europäischen Kommission im begründeten Vorschlag vom 20. Dezember 2017 als besonderes relevante Angabe für systemische Mängel an, mit dem der Rat aufgefordert wird, auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 EUV das Bestehen einer eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch Polen festzustellen.

Zwei Aspekte der Unabhängigkeit der Richter

Das Erfordernis richterlicher Unabhängigkeit und Unparteilichkeit umfasst zwei Aspekte . So müssen die betreffenden Einrichtungen erstens ihre Funktionen geschützt vor Interventionen oder Druck von außen in völliger Autonomie ausüben und zweitens unparteiisch sein, was bedeutet, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Gerichte sowie die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt. Das Unabhängigkeitserfordernis verlangt außerdem, dass die Disziplinarreglung für die Mitglieder von Gerichten die erforderlichen Garantien aufweist, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass sie als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird.

Konkrete Prüfung trotz begründeten Vorschlags der Europäischen Kommission

Stellt die vollstreckende Justizbehörde, wenn sie diese Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zum Maßstab nimmt, fest, dass im Ausstellungsmitgliedstaat eine echte Gefahr besteht, dass das Grundrecht auf ein faires Verfahren verletzt wird, muss sie in einem zweiten Schritt konkret und genau prüfen, ob es unter den gegebenen Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die gesuchte Person nach ihrer Übergabe einer solchen Gefahr ausgesetzt sein wird. Diese konkrete Prüfung ist auch dann geboten, wenn wie im vorliegenden Fall die Kommission in Bezug auf den Ausstellungsmitgliedstaat einen begründeten Vorschlag erlassen hat, der darauf gerichtet ist, dass der Rat feststellt, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte durch diesen Mitgliedstaat besteht, und die vollstreckende Justizbehörde ihrer Ansicht nach über Angaben verfügt, die geeignet sind, systemische Mängel im Hinblick auf diese Werte zu belegen.

Um zu prüfen, ob für die gesuchte Person eine echte Gefahr besteht, muss die vollstreckende Justizbehörde untersuchen, inwieweit die systemischen oder allgemeinen Mängel sich auf der Ebene der Gerichte auswirken können, die für den Fall der gesuchten Person zuständig sind. Ergibt diese Untersuchung, dass die besagten Mängel die betreffenden Gerichte berühren können, muss die vollstreckende Justizbehörde dann beurteilen, ob es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die betroffene Person in Anbetracht ihrer persönlichen Situation sowie der Art der strafverfolgungsbegründenden Straftat und des Sachverhalts, auf denen der Europäische Haftbefehl beruht, einer echten Gefahr ausgesetzt sein wird, dass ihr Grundrecht auf ein unabhängiges Gericht verletzt und damit der Wesensgehalt ihres Grundrechts auf ein faires Verfahren angetastet wird.

Zur Pressemitteilung zum Urteil des EuGH zu C-216/18 PPU …

Zum Urteil C-216/18 PPU …

Siehe auch: EuGH prüft die Unabhängigkeit der polnischen Justiz im Eilverfahren …

Artikel im Spiegel online: EU-Staaten müssen polnischen Haftbefehl nicht zwingend vollstrecken …

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