Judikatur VfGH / Deckelung und Wartefrist bei niederösterreichischer Mindestsicherung sind verfassungswidrig

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hatte wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Deckelung der Mindestsicherung und der Einführung einer Wartefrist die entsprechenden Bestimmungen des Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetzes in  160 Verfahren angefochten.

Der Verfassungsgerichtshof hat diese Bestimmungen nun mit sofortiger Wirkung aufgehoben und festgestellt, dass das System der Deckelung der Ansprüche den konkreten Bedarf nicht berücksichtigt und die Einführung einer Wartefrist gleichheitswidrig ist (G 136/2017 ua, vom 12.03.2018).

Gerichtshof verweist auf ständige Rechtsprechung

Zur Frage der Deckelung verweist der Gerichtshof auf seine bisherige Rechtsprechung: „Auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person bei zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft abnehmen mögen, so ist doch immer noch je weiterer Person ein Aufwand in einiger Höhe erforderlich.“ Es gebe also keinen sachlichen Grund, richtsatzmäßige Geldleistungen für eine Haushaltsgemeinschaft ab einer bestimmten Anzahl von Haushaltsangehörigen abrupt zu kürzen.

Der Gerichtshof sieht sich nicht veranlasst, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Das System der nö. Mindestsicherung stellt grundsätzlich auf den konkreten Bedarf der betroffenen Personen ab. Die Deckelung hingegen begrenzt den Anspruch „in Abkehr“ von diesem System unabhängig von der Zahl der Personen mit einem fixen Betrag. Wörtlich heißt es in dem Erkenntnis: „Damit hat der niederösterreichische Gesetzgeber eine unsachliche Regelung geschaffen: Wenngleich € 1.500,– für bestimmte Haushaltskonstellationen ausreichend sein können, verhindert das NÖ MSG eine einzelfallbezogene und damit sachliche Bedarfsprüfung.“

5 Jahre Wartefrist ist gleichheitswidrig

Neben der Deckelung betrafen die Anträge des Landesverwaltungsgerichts auch die Wartefrist (§ 11a NÖ MSG). Wer sich nicht mindestens fünf der vergangenen sechs Jahre in Österreich aufgehalten hat, kann unabhängig von der Staatsbürgerschaft statt der Mindestsicherung nur eine geringere Leistung gemäß den „Mindeststandards – Integration“ beziehen. Ausnahmen gelten für in Österreich geborene Kinder von voll Anspruchsberechtigten und für Personen, die Österreich für Ausbildungszwecke oder aus beruflichen Gründen verlassen haben.

Die niederösterreichische Landesregierung begründet die Wartefrist mit dem Erfordernis der Integration sowie der Setzung eines Anreizes zur Arbeitsaufnahme. Dem hält der VfGH entgegen, dass die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft eine vorhandene Integration bereits voraussetzt.

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