Landeshauptleute: Ein Brief aus der Vergangenheit

Es war im Jahr 2002, als das Europäische Parlament die EU-Grundrechte-Charta beschlossen hat. Ab diesem Zeitpunkt  waren alle zukünftigen Beitrittswerber verpflichtet, vor einem Beitritt zur EU Verwaltungsgerichte einzurichten.

Die EU-Kommission  wollte – noch vor Inkrafttreten der Verträge von Lissabon – in den Beitrittsverhandlungen sicherstellen, dass jeder Unionsbürger in jedem Mitgliedsstaat behördliche Entscheidungen, mit denen er nicht zufrieden war, von einem unabhängigen Gericht überprüfen lassen konnte (Art 47 Grundrechte-Charta).

Es waren die Bundesländer, die in Österreich die Einrichtung von Verwaltungsgerichten lange Zeit verhinderten. Und  es war der Auslegungsstreit der Höchstgerichte über Art 47 der Grundrechte-Charta – bezeichnender Weise in einem Umweltverfahren –  der letztlich die Einrichtung von Verwaltungsgerichten in Österreich wesentlich beschleunigte (Stichwort: Brennerbasistunnel) .

Der jetzt von den Landeshauptleuten vorgetragenen Angriffe auf den mühsam erreichten Rechtschutz  im öffentlichen Recht erscheint in diesem Licht wie ein Nachhall vergangener Zeiten.

Verzerrter Blick auf die Realität

Gleichzeitig zeigt die Argumentation auch einen verzerrten Blick auf die Realität: Denn nach den geltenden Verfahrensvorschriften steht es den Verwaltungsbehörden frei, Widerspruch zu erheben, wenn die Gerichte keine Entscheidung in der Sache selbst treffen sollen  (§ 28. Abs.3 VwGVG). Das heißt, die Verwaltungsgerichte haben gar nicht die Macht, die ihnen die Politik zuschreibt.

Nur bleibt dieses Widerspruchsrecht praktisch angewendet, weil sich die Realität in eine ganz andere Richtung entwickelt hat: Die Behörden haben ihre Verfahrensführung auf ein Minimum reduziert und  „delegieren“ auf diese Weise die Verwaltungsverfahren an die Gerichte. Diese Entwicklung wird in den Tätigkeitsberichten der Verwaltungsgerichte dokumentiert und kritisiert. Die Behörden werden aufgefordert, die ihnen nach Art 20 B-VG zukommende Verantwortung zur rechtmäßigen Führung der Verwaltungsverfahren nachzukommen.

Würden die Landeshauptleute ihren Blick von der Vergangenheit auf die Gegenwart richten, könnten sie erkennen, dass genau in dieser Aufgabe ihre verfassungsrechtlich vorgesehene Verantwortung liegt.

Hier den Brief lesen…

 

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