Verfahrensrecht: Das Mysterium der mündlichen Verkündung von Erkenntnissen

fachgruppe verfahrensrechtDie Praxis der Verhandlungsführung bei den Verwaltungsgerichten ist ziemlich einheitlich.

In jenen Verfahren, in denen keine Beweisaufnahme erforderlich ist, wird im Rahmen des „Rechtsgesprächs“ das Beschwerdevorbringen erörtert und werden die gegenseitigen Standpunkte ausgetauscht. Im Anschluss erfolgt dann die mündliche Verkündung der Entscheidung.


Oder es erfolgt nach der Erörterung des Vorbringens die Beweisaufnahme, eine Erörterung der Beweisergebnisse und dann die Verkündung der Entscheidung. Ausgenommen Vertagungen zur Verfahrensergänzung oder bei komplexen Verfahren erfolgt die mündliche Verkündung in der Regel sofort am Schluss der mündlichen Verhandlung (außer die Parteien verzichten darauf). Die Entscheidungsgründe sind den Parteien daher entweder bereits aus Erörterung bekannt oder werden bei der Verkündung mündlich mitgeteilt. Das wird im Regelfall auch genauso protokolliert.

Vor Einführung der Verwaltungsgerichte war es nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zulässig, bereits gegen mündliche verkündete Bescheide der Unabhängigen Verwaltungssenate Beschwerde zu erheben, ein Zuwarten auf die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung war nicht erforderlich. Für die Wahrung der Entscheidungsfristen genügte daher im Regelfall, dass der UVS seine Entscheidung mündlich verkündet hatte.

Das soll auch so bleiben, wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15.12.2014, Ro 2014/04/0068, klargestellt hat. Das heißt, auch gegen eine zunächst nur mündlich verkündete Entscheidung ist eine Revision zulässig ist. Die Bestimmung des § 29 VwGVG ist nach Auffassung des VwGH analog zum früheren § 67g AVG zu verstehen.

Aber Verkündung ist nicht gleich Verkündung: Denn einerseits hat nach der Rechtsprechung des VwGH das Fehlen der Wiedergabe der Begründung im Protokoll auf die Rechtsgültigkeit der (wenn auch inhaltlich fehlerhaften) Erlassung der Entscheidung durch mündliche Verkündung keinen Einfluss (VwGH vom 15.12.2014, Ro 2014/04/0068), andererseits genügt aber eine grobe Zusammenfassung der Entscheidungsgründe im Protokoll nicht, weil die lückenhafte Darstellung der Entscheidungsgründe eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung verhindert.

Ob die mündliche Verkündung einer Entscheidung durch das Verwaltungsgericht auch eine rechtskräftige Beendigung des Verfahrens darstellt (und somit die gesetzlichen Fristen gewahrt sind), erschließt sich bei dieser Rechtslage allen Verfahrensbeteiligte erst durch die nachfolgende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, etwa im Falle eines Fristsetzungsverfahrens.

Will ein Richter/eine Richterin allen den vom Verwaltungsgerichtshof an die verkündete Entscheidung gestellte Anforderung genügen, müsste er/sie entweder mit einer bereits vorgefertigten Entscheidung in die Verhandlung gehen oder die Verhandlung zur Ausarbeitung der Verkündung unterbrechen und Parteien und deren Vertreter darauf warten lassen oder – wenn die Zeit dafür nicht zur Verfügung steht (z.B. wegen nachfolgender Verhandlung) – zur Verkündung vertagen.

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