VwG Judikatur: Vergaberecht

Fachgruppe VergaberechtAbwägung von Grundrechten durch das Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht hat das Recht der präsumtiven Zuschlagsempfängerin auf Geheimhaltung von Daten ihres Angebotes (Art. 8 EMRK und Art. 7 GRC) gegenüber dem Recht der Antragstellerin auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK und Art 47 GRC) abzuwägen.

Das Verwaltungsgericht Wien (VGW) hatte in einem Vergabeverfahren betreffend die Lieferung von Straßenbahnen die Zuschlagsentscheidung nachzuprüfen. Die präsumtive Zuschlagsempfängerin machte geltend, die Innenabmessungen und andere technische Daten des von ihr angebotenen Straßenbahntyps seien ihre Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, weil sie der Antragstellerin auch in künftigen Vergabeverfahren anderer Auftraggeber als Konkurrentin gegenüber stehen werde. Die Antragstellerin machte geltend, sie brauche diese Daten zur Geltendmachung ihrer Rechte im Nachprüfungsverfahren.

Dazu hielt das VGW zunächst fest, dass der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens den Parteien gemäß dem Urteil des EuGH vom 14.2.2008, C-450/06, Rs Varec, keinen Anspruch auf unbegrenzten und uneingeschränkten Zugang zu allen bei der Nachprüfungsinstanz eingereichten und dieses Vergabeverfahren betreffenden Informationen verleiht.

Die präsumtive Zuschlagsempfängerin habe ein schützenswertes Interesse daran, dass die technischen Daten des von ihr angebotenen Fahrzeugtyps der Antragstellerin gegenüber nicht offengelegt werden, weil eine Offenlegung die Antragstellerin in die Lage versetzen würde, bei künftigen Ausschreibung anderer Auftraggeber abzuschätzen, was die präsumtive Zuschlagsempfängerin anzubieten in der Lage ist. Ihr Interesse an der Geheimhaltung (Art 8 EMRK und Art 7 GRC) wiege dementsprechend schwer.

Auf der anderen Seite stehe das Recht der Antragstellerin auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK und Art 47 GRC). Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass es, soweit Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse geltend gemacht wurden, ausschließlich um die Erörterung von Details des Angebotes der präsumtiven Zuschlagsempfängerin sowie deren innere Schlüssigkeit geht. Die zu erörternden Details seien damit deutlich der geschäftlichen Sphäre der präsumtiven Zuschlagsempfängerin zugewiesen.

Ein faires Verfahren könne im gegenständlichen Fall auch dadurch gewährleistet werden, dass ein objektiver Dritter, nämlich das Verwaltungsgericht, prüft, ob die Angaben der präsumtiven Zuschlagsempfängerin von der Auftraggeberin ausreichend geprüft und korrekt bewertet worden sind. Auf diese Weise können Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse gewahrt und dennoch eine den Anforderungen des Art 6 EMRK und des Art 47 GRC entsprechende objektive Nachprüfung der Entscheidung des Auftraggebers gewährleistet werden.

VGW vom 22.1.2015, VGW-123/077/34442/2014

Siehe dazu auch den Artikel „Keine vertraulichen Verfahren vor staatlichen Gerichten

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