Gut, dass die Regierung das Amtsgeheimnis abschafft. Viel wichtiger wäre es, ein anderes Gesetz zu überdenken
Ungekürzte Fassung eines Gastkommentars von Wolfgang Helm
Eine demokratische Verwaltung bedarf nicht nur der gerichtlichen Kontrolle, sondern muss sich auch der öffentlichen Diskussion stellen. Wir brauchen den gläsernen Staat, nicht den gläsernen Bürger.
Das „Amtsgeheimnis“ nach Artikel 20 Absatz 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes ist aber nicht das entscheidende Hindernis. Es kommt nur zum Schutz ganz bestimmter öffentlicher Interessen oder überwiegender Privatinteressen zur Anwendung. Für die aufgezählten öffentlichen Interessen wie Landesverteidigung und Sicherheit fehlt es zwar an einer Abwägungsklausel gegen das Interesse an einer Information der Öffentlichkeit, jedoch besteht ein Interpretationsspielraum (so ist etwa nicht nachvollziehbar, warum der Beschaffungsvorgang von Kampfflugzeugen überhaupt im Interesse der Landesverteidigung geheim gehalten werden müsste). Auch die Vorbehalte gegen die Durchsetzung der Auskunftspflicht sind unverständlich: die Verwaltungsgerichte entscheiden rasch, fast kostenlos (Eingabegebühr derzeit € 14,30) und ohne Anwaltszwang.
Wer heute öffentliche, politisch relevante Information verhindern will – sei es die Innenministerin, ein Umwelt oder Lebensmittel vergiftender Konzern, oder ein staatliche Förderungen beziehender Großgrundbesitzer –, der beruft sich auf den Datenschutz. Das geht so weit, dass sogar die verfassungsmäßige Kontrolle der Verwaltung be- oder verhindert wird: Als UVS-Richter wurde mir vom Leiter des Bundesasylamtes sogar einmal die Übersendung eines Asylaktes verweigert, den ich für eine Beschwerde des abgelehntes Asylwerbers gegen seine Abschiebung benötigte – offenbar, um die Daten des Beschwerdeführers vor der Rechtsmittelinstanz (oder vor ihm selbst?) zu schützen. Als Begründung wurde angegeben, der UVS (welcher nach der Bundesverfassung neben dem VwGH zur Kontrolle der gesamten staatlichen Verwaltung berufen war!) sei im Asylgesetz nicht ausdrücklich unter den zulässigen Datenempfängern angeführt. Den Akt habe ich erst nach vielfältigen Interventionen bekommen.
Den Gipfel bildete bekanntlich – nach der Einrichtung des Eurofighter- und des Bankenausschusses – die Übergabe von angeblich „zum Schutz personenbezogener Daten“ geschwärzter Akten des Innenministeriums und anderer Ministerien an das Parlament. Hier bestimmt die Regierung, was ihr vom Volk gewähltes Kontrollorgan zu sehen bekommt. Für mich ein klarer Verfassungsbruch; leider existiert kein passender Tatbestand im 14. Abschnitt des Strafgesetzbuches („Hochverrat und andere Angriffe gegen den Staat“).
Dazu kommen die alltäglichen Erschwernisse, wenn die Verwaltungsbehörden im Zuge einer Beschwerde ihre Akten übermitteln und ersuchen, bis zu 50% davon aus Datenschutzgründen von der Akteneinsicht auszunehmen. Oft sind darunter Berichte über aufgelöste Demonstrationen sowie Anzeigen gegen zahlreiche Teilnehmer, also Schriftstücke, die die Grundlage des Verfahrens bilden. Offenbar erwartet man vom Gericht, diese Schriftstücke alle zu kopieren, in der Kopie sämtliche Namen außer jenem der Verfahrenspartei auszumerzen und dann Einsicht nur in die Kopie zu gewähren. Das neue Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz schießt hier den Vogel ab: Nach § 21 Abs. 2 ist es den Verwaltungsgerichten ausdrücklich verboten, Einsicht in Aktenteile zu gewähren, welche schon im Verwaltungsverfahren (von der zu kontrollierenden Behörde!) von der Akteneinsicht ausgenommen waren (diese Bestimmung wird bereits auf Initiative des Verwaltungsgerichts Tirol vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten).
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Datenschutz ist wichtig und unverzichtbar. Sein Missbrauch ist aber kein Zufall. Das seit den Siebziger Jahren bestehende und im Jahre 2000 neu gefasste Datenschutzgesetz schützt – in der Praxis – nämlich die Falschen.
Zwei Konstruktionsfehler sind daran schuld. Zum einen schützt das DSG die „personenbezogenen“ Daten juristischer Personen genauso wie die natürlicher Personen, also von Aktiengesellschaften genauso wie von Menschen, obwohl die Interessenlage typischer Weise völlig unterschiedlich ist. Menschen fürchten zu Recht das geheime Sammeln von Daten über sie durch Behörden, Versicherungen und Telekommunikationsunternehmen, welche dadurch die Macht erlangen, Profile über sie zu erstellen. Undurchsichtige Großunternehmen fürchten dagegen am meisten die Veröffentlichung ihrer Aktivitäten und Machenschaften.
Und hier sind wir beim zweiten Konstruktionsfehler angelangt: Beim Schutz persönlicher Daten unterscheidet das Gesetz nicht zwischen der Weitergabe im Geheimen und der Veröffentlichung, obwohl die Veröffentlichung wenigstens eine Richtigstellung (oder auch eine Unterlassungsklage) ermöglicht, während die Betroffenen im anderen Fall nicht einmal wissen, was über sie gesammelt wird. Im Ergebnis ist das DSG somit auf große Privatunternehmen zugeschnitten, indem es unliebsame Veröffentlichungen oft schon von vornherein verhindert, während der oder die Einzelne im Regelfall gar nicht bemerkt, dass seine Rechte verletzt werden.
Das ist in erster Linie demokratiepolitisch falsch, behindert aber auch das Funktionieren des Marktes. Die Lebensmittelbehörden wagen es oft nicht einmal, die Produktnamen jener Unternehmen zu veröffentlichen, die giftige, schädliche oder gefährliche Produkte auf den Markt gebracht haben. Genau diese verpönte „Anprangerung“ wäre aber eine wichtige Entscheidungshilfe für die KonsumentInnen. Beim Umweltschutz ist die Situation besser; seit 1993 gewährt das Umweltinformationsgesetz Einblick in den Zustand des Bodens, des Wassers oder der Luft; die (tatsächlichen und behördlich genehmigten) Emissionsdaten einzelner Unternehmen dürfen jedoch aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht werden (Auskunft ist nur in „aggregierter“ Form, also einer Art Gesamtübersicht, zu geben).
Rechts- und demokratiepolitisch ist das zu hinterfragen: Warum sollte jemand, dem die Allgemeinheit zu ihren Lasten Verschmutzungsrechte einräumt, auch noch das Recht auf Geheimhaltung des Ausmaßes dieser Verunreinigungen genießen? Oder, gehen wir einen Schritt weiter: Warum sollten landwirtschaftliche Großkonzerne und Betriebe öffentliche Gelder von EU, Bund, Land und Gemeinde beanspruchen dürfen, aber dann verlangen dürfen, dass in einer „Tranzparenzdatenbank“ die dem jeweiligen Unternehmer ausgezahlten Subventionen, die von allen Steuerpflichtigen berappt werden müssen, eben diesen Steuerpflichtigen verschwiegen werden? Dadurch wird ja nicht zuletzt auch die öffentliche Diskussion über die Berechtigung dieser Summen verhindert. (Transferleistungen zur Existenzsicherung wären selbstverständlich auszunehmen, schon um die Betroffenen nicht zu stigmatisieren, und wegen ihrer Geringfügigkeit).
Noch einen Schritt weiter: Ist es wirklich gerechtfertigt, dass DirektorInnen ausgegliederter, staatsnaher oder vom Staat mit Großaufträgen bedachter Unternehmen „aus Datenschutzgründen“ Einsicht die Veröffentlichung ihrer Bezüge verhindern dürfen? Man muss gar nicht so weit gehen wie Schweden, wo die Einkünfte aller Steuerpflichtigen eingesehen werden können; es genügt die Offenlegung jener Bezüge, die zum großen Teil von der öffentlichen Hand getragen werden. Die Bezieher haben ja die Wahl, den öffentlich ausgestatteten Posten, den öffentlichen Auftrag anzunehmen oder nicht.
Wenn wir also den gläsernen Staat anstelle des gläsernen Bürgers wollen, sollten wir den Datenschutz auf ein demokratieverträgliches Maß zurückbringen. Ein „Freedom of Information Act“, der dies außer Acht ließe, wäre sein Papier nicht wert. Genießt die Information der Öffentlichkeit einmal im Datenschutzgesetz den Vorrang vor Privatinteressen, dann ist es die leichtere Aufgabe, ihr diesen Vorrang auch gegenüber dem Amtsgeheimnis einzuräumen.
Wolfgang Helm ist Richter am Verwaltungsgericht Wien