Noch 100 Tage und viele offene Fragen

100 Tage 3In genau 100 Tagen werden die 11 neuen Verwaltungsgerichte ihre Arbeit aufnehmen. Viele Probleme konnten unter dem großen Zeitdruck der Reform gelöst werden, viele sind aber offen geblieben. Sie werden den Beginn der Arbeit der Gerichte wesentlich mitbestimmen.

Verfahrensrecht:

Durch das Versäumnis, ein Verfahrensgesetz mit klaren Zuständigkeitsregelungen für die Verwaltungsgerichte zu erlassen, sind Abgrenzungsprobleme bei der sachlichen Zuständigkeit zwischen dem Bundesverwaltungsgericht einerseits und den Verwaltungsgerichten in den Ländern anderseits bzw. negative Kompetenzkonflikte zwischen diesen Gerichten nahezu vorprogrammiert.

Zusätzlich haben die Materiengesetzgeber die Verfahren weiter kompliziert: So soll beispielsweise nach dem Fremdenpolizeigesetz für Beschwerden gegen die Festnahme eines Fremden ein Verwaltungsgericht in den Ländern zuständig sein, für Beschwerden gegen die – im Anschluss an die Festnahme erfolgte – Verhängung der Schubhaft jedoch das Bundesverwaltungsgericht.

Oder beim Umweltinformationsgesetz: Wird vom Lebensministerium eine Umweltinformation über die Donau verlangt, ist für eine allfällige Beschwerde gegen die erteilte Auskunft das Bundesverwaltungsgericht zuständig. Wird nach demselben Gesetz vom selben Ministerium eine Umweltinformation über die Enns verlangt, kommen als Rechtsschutzinstanzen die Verwaltungsgerichte Salzburg, Steiermark oder Oberösterreich in Betracht (bisher war in diesen Verfahren jener UVS zuständig, in dessen Sprengel die bescheiderlassende Behörde ihren Sitz hatte). Eine ähnliche Aufsplitterung des Rechtsschutzes gibt es in einer ganzen Reihe von Gesetzen.

Da es für die Verwaltungsgerichte in den Ländern (in administrativen Verwaltungsverfahren) keine Sprengelzuständigkeit mehr gibt, wird es auch bei der Wahrnehmung der örtlichen Zuständigkeit vermehrt zu Unklarheiten kommen,

Die Beschwerden gegen behördliche Entscheidungen sind bei den Behörden selbst einzubringen. Auf diese kommt die Aufgabe zu, die Beschwerden dem tatsächlich zuständigen Gericht vorzulegen.

Organisationsrecht:

Das Problem der mangelnden strukturellen Unabhängigkeit durch die Besorgung von Justizverwaltung durch die Landesregierungen besteht bei allen Verwaltungsgerichten in den Länder, ausgenommen Oberösterreich und Burgenland. Nur in diesen Bundesländern erfolgte in Umsetzung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes (G 19/99, VfSlg. 15.762/2000) die erforderliche organisatorische Absicherung der Unabhängigkeit.

Hier wird mit Spannung die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Anfechtung der entsprechenden Bestimmungen im Wiener Verwaltungsgerichtsgesetz erwartet. Darüber hinaus gibt es bereits Überlegungen, die Frage der Ausgestaltung der Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichte im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH heranzutragen.

 Dienstrecht:

Entgegen der einstimmigen Entschließung des Nationalrates gibt es keine Durchlässigkeit der Richterdienstrechte. In verfassungsrechtlicher Hinsicht besonders problematisch ist die Tatsache, dass das Land Vorarlberg „seinen“ Verwaltungsrichtern sogar die Absicherung ihrer Unabhängigkeit durch ein pragmatisiertes Dienstverhältnis verweigert. Ebenso verfassungsrechtlich bedenklich sind die Regelungen über die unterschiedliche Entlohnung der an den Verwaltungsgerichten Tirol und Steiermark tätigen Richter.

 Ressourcen

Beim Bundesverwaltungsgericht erhalten die Richter weitreichende Unterstützung durch nichtrichterliche Bedienstete. Auf jeden Richter des BVerwG kommen statistisch gesehen 1,6 nichtrichterliche Bedienstete. Ziel ist es, die Richter für ihre judizielle Tätigkeit von administrativen Arbeiten freizuspielen .

Welche Ressourcen die einzelnen Bundesländer “ihren“ Gericht zur Verfügung stellen werden, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden, da die Personalplanungen und Personalrekrutierungen meistens noch nicht abgeschlossen sind.

In den Bundesländern – ausgenommen Wien – wird die Zahl der neu ernannten Richter als ausreichend befunden. Für das Verwaltungsgericht Wien zeichnet sich ab, dass der bestehende  massive Richtermangel weiter ansteigt. Obwohl eine Aufstockung der Richterplanposten auf insgesamt 83 Richter erfolgt ist, stehen für den erwarteten Anstieg der jährliche Verfahren von 15.000 auf 23.000  rechnerisch nur vier neue Richter und knapp 30 Rechtspfleger zur Verfügung.

Einheitlichkeit der Rechtsprechung

Schon jetzt kann gesagt werden, dass in der Anfangsphase für die Gerichte die besondere Schwierigkeit darin bestehen wird, ein Herausbilden unterschiedlicher Rechtsschutzstandards im öffentlichen Recht zu unterbinden. Selbst bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit einer einheitlichen Justizorganisation können unterschiedliche Organisationsabläufe, Verfahrensführung oder eine unterschiedliche Entscheidungspraxis nicht immer verhindert werden. Das föderale Konzept der Aufteilung der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Bund und Länder ohne jeden gemeinsamen organisatorischen Rahmen birgt diese Gefahr umso mehr in sich. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken wird der Rechtsprechung der Höchstgerichte eine besondere Bedeutung zukommen.

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