Die Richtervereinigung hat den Dialog mit der Wissenschaft und mit der Zivilgesellschaft gesucht. Die Strafanzeige gegen Velten muss der Öffentlichkeit nun als Ausdruck von Abgehobenheit und mangelndem Selbstvertrauen erscheinen. Sie ist ein Rückfall in alte Zeiten und ein Schlag ins Gesicht jener Richterinnen und Richter, die Kritik als Chance sehen.
Von Maria Wittmann-Tiwald und Oliver Scheiber
Quelle: Falter Printausgabe 7/11
„Eine der unangenehmsten Peinlichkeiten in (…) Gerichtssälen ist die Überheblichkeit der Vorsitzenden im Ton den Angeklagten gegenüber. (…) diese banalen Belehrungen, die Flut von provozierenden, beleidigenden und höhnischen Trivialitäten ist unerträglich.“
Für diese Zeilen hätte Kurt Tucholsky im Jahr 2011 vielleicht eine Verleumdungsanzeige der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter erhalten. So ist es der Linzer Strafrechtsprofessorin Petra Velten ergangen, nachdem sie einen Prozesstag im „Tierschützerverfahren“ besucht und danach öffentlich heftige Kritik an der Vorsitzführung der Richterin geübt hat („weit weg von einem rechtsstaatlichen Verfahren“).
Hinter dieser Anzeige stehen Grundsatzfragen: Darf man Richter kritisieren? Müssen sie sich alles gefallen lassen? Richter sind unabhängig, weisungsfrei, unversetzbar und unabsetzbar. Ihre Kontrolle erfolgt einerseits im Instanzenzug, und sie geschieht vor allem auch durch die Öffentlichkeit. Jeder kann Gerichtsverhandlungen besuchen und kritisieren. Die Wissenschaft setzt sich mit richterlichen Entscheidungen auseinander und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Rechtsentwicklung.
Richterinnen und Richter sind mit viel Macht ausgestattet. Von der Art ihrer Verhandlungsführung hängen Existenzen ab. Diese Macht ist daher mit Sensibilität auszuüben; und sie muss sich Kritik gefallen lassen. Die Grenze zur unangemessenen Kritik ist fließend: Wenn Richter persönlich beleidigt oder bedroht werden, so ist dies unzumutbar. So beschimpften Politiker der schwarz-blauen Regierung unliebsame Richter. Familienrichter werden in emotional geführten Verfahren immer wieder bedroht. In Wirtschaftsstrafsachen erleben Staatsanwälte immer wieder Druck. In diesen Fällen verdienen sie Rückhalt der Republik.
Im Fall Velten liegen die Dinge aber anders. Bei ihr steht das kritische Hinterfragen der richterlichen Arbeit im Vordergrund; Velten kritisiert die Verhandlungsführung scharf. Für die betroffene Richterin ist das unangenehm und belastend, keine Frage. Möglicherweise ist die Kritik völlig unzutreffend, möglicherweise wird die Kritik der Professorin instrumentalisiert. Vielleicht ist die Kritik aber auch berechtigt, denn in jedem Berufsstand passieren Fehler. Es ist legitim, dass die Betroffene oder, besser, der Mediensprecher des Gerichts solche Kritik zurückweist, auch eine Stellungnahme der Richterinnenvereinigung ist denkbar. Aber eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft? Welches Verständnis von gesellschaftlichem Diskurs steht hinter einer solchen Anzeige?
Die Strafanzeige setzt ein Zeichen: Wer ein laufendes Verfahren kritisiert, soll lieber aufpassen – er bekommt es mit uns Richtern zu tun. In den letzten Jahren hat sich in der Richterschaft aber einiges getan. Die Richtervereinigung hat den Dialog mit der Wissenschaft und mit der Zivilgesellschaft gesucht. Die Strafanzeige gegen Velten muss der Öffentlichkeit nun als Ausdruck von Abgehobenheit und mangelndem Selbstvertrauen erscheinen. Sie ist ein Rückfall in alte Zeiten und ein Schlag ins Gesicht jener Richterinnen und Richter, die Kritik als Chance sehen.
Maria Wittmann-Tiwald, Richterin des OLG Wien, und Oliver Scheiber, Vorsteher des BG Meidling, haben die Fachgruppe Grundrechte in der RichterInnenvereinigung gegründet