Der funktionierende Rechtsstaat – Ein verzichtbarer Luxus?

Das mediale Sommerloch wird dieses Jahr mit Berichten über die Probleme im österreichischen Justizsystem gefüllt. Sie zeichnen ein erschreckendes Bild.

Es war die Feststellung des derzeitigen Justizministers und früheren Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, Clemens Jabloner, über den „stillen Tod der Justiz“, welche mit Zeitverzögerung die Schleusen öffnete. Berichte wie: „Richter und Staatsanwälte warnen vor Zusammenbruch der Justiz“, „Bezirksgerichte sind überfordert und wechseln in den Notfallmodus“, „Überfüllte Gefängnisse, erschöpfte Beamte“, „Bereich des Unerträglichen erreicht“, „Wenn die Justiz nicht funktioniert, kommt die Gewalt“, zeichnen erschreckende Zustände im Justizsystem in Österreich.

Die früherer Justizministerin und ehemalige Richterin am Europäischen Gerichtshof, Maria Berger, startet daraufhin letzte Woche die Petition “Rettet die Justiz“, welche 10 Forderungen für Justizreformen an die zukünftige Bundesregierung richtet. Gleichzeitig kritisierten die Justizsprecher der Parlamentsparteien ihre eigenen Parteien für Versäumnisse in der Vergangenheit.

Resultat jahrzehntelanger Sparpolitik

Die derzeitige Situation ist nur der vorläufige Endpunkt einer Sparpolitik, welche im Justizbereich jahrzehntelang von allen Regierungen – ungeachtet ihrer parteipolitischen Zusammensetzung – betrieben wurde. Noch im November des Vorjahres hatten mehr als 5.100 betroffene Justiz-Mitarbeiter die Protestnote „Justiz wird totgespart – Rechtsstaat in Gefahr!“ unterschrieben. Ex-Finanzminister Löger erteilte diesem Anliegen eine schlichte Absage und sah im Justizbudget für das Jahr 2019 die Streichung weiterer 176 Planstellen (davon 40 Richteramtsanwärter) vor.

Dabei finanziert sich österreichische Justiz zu rund 80 % aus Gerichtsgebühren selbst, gleichzeitig ist Österreich eines der europaweiten Schlusslichter beim Anteil des Justizbudgets am Gesamtbudget.

Während die Justizreformen in den östlichen Nachbarländern von der österreichischen Bundesregierung sehr genau beobachtet und dortige Fehlentwicklung – zu Recht – vehement kritisiert werden, fehlt dem österreichischen Justizsystem diese Aufmerksamkeit.

Sonderfall Verwaltungsgerichtsbarkeit

Dieses Desinteresse trifft auch die Verwaltungsgerichte, obwohl seit deren Einrichtung im Jahr 2014 immer deutlicher klar wird, dass deren Unabhängigkeit gegenüber den kontrollierten Institutionen ungenügend abgesichert ist. Laut Gutachten des Europarates (Consultative Council of European Judges- CCJE) vom März 2019 entsprechen die Organisations- und Dienstrechte der Verwaltungsgerichte in wesentlichen Bereichen nicht den europäischen Standards. Auch der im Juli 2019 veröffentlichte „GRECO“-Bericht rügt die mangelnde Umsetzung der Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung bzw. Prävention und stellt fest, dass das Risiko politischer Einmischung in Österreich eine Realität bleibt.

„Entpolitisierung“ der Verwaltungsgerichte wird Absage erteilt

Wie zum Beweis dafür hatte die Konferenz der (politisch ernannten) Präsidenten der Verwaltungsgerichte gegenüber „GRECO“ eine Stellungnahme abgegeben, in der der Forderung nach einer „Entpolitisierung“ der Verwaltungsgerichtsbarkeit (verbindliche Besetzungsvorschläge der richterlichen Personalsenate, Zuständigkeit auch für die Auswahl der Präsidenten und Vizepräsidenten) eine klare Absage erteilt wurde.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich Ungarn aufgrund des Drucks der EU-Kommission gezwungen sah, die vorgesehene Einrichtung von Verwaltungsgerichten absagen, ein Vorhaben, für dessen Ausgestaltung Ungarn ausdrücklich Österreich als Vorbild genannt hatte.

Die Reaktionen der politischen Parteien auf diese Entwicklungen bleiben unter der Wahrnehmungsgrenze. Ja es entsteht fast der Eindruck, als ob viele Parlamentsabgeordnete einen funktionierenden Rechtsstaat als einen Luxus ansehen, auf den man in Österreich auch gerne verzichten könnte.

Das Sommerloch wird bald vorbei sein, die Justizkrise nicht.

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