Mindestsicherung (1): Breite Kritik an der neuen Sozialhilfe

Weniger Geld für Familien und Asylberechtigte: Diese Kernpunkte bei der Reform der Mindestsicherung stoßen bei Experten und sozialen Organisationen auf wenig Verständnis.

Bis heute, Donnerstag, läuft das Begutachtungsverfahren für das Sozialhilfegesetz, das die bisherigen Regelungen für die bedarfsorientierte Mindestsicherung ablösen soll. Viele Stellungnahmen liegen bereits vor – und sie fallen weitgehend kritisch aus. „Die neue Sozialhilfe kann die Armut nicht bekämpfen“, befindet beispielsweise die Armutskonferenz, ein Zusammenschluss von 40 sozialen Organisationen, die dem Gesetzesvorhaben ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. Die Kritik im Überblick:

Ober- statt Untergrenze

Die Mindestsicherung heißt künftig wieder Sozialhilfe, schlicht weil es sich nicht mehr um eine Mindestsicherung handelt. Bisher haben die Länder sich auf gemeinsame Mindestsätze geeinigt, künftig gibt der Bund den Ländern starre Obergrenzen vor, wie viel sie maximal an Bedürftige auszahlen dürfen. Nach unten dagegen ist kein Netz eingezogen, den Ländern steht es offen, in ihrem Bereich deutlich weniger auszuzahlen. Damit wird aber auch ein wesentlicher Anspruch des Gesetzes nicht erfüllt, nämlich eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen, so die Kritik. Und: Die Obergrenzen sind in einigen Bereichen deutlich niedriger als die bisherigen Untergrenzen.

Weniger Geld für Familien

Für die Regierung ist das ein zentraler Punkt der Reform und eine Frage der Gerechtigkeit: Familien mit mehreren Kindern werden deutlich weniger bekommen als bisher. Es müsse einen Unterschied zum Arbeitseinkommen geben, so die Begründung für den „Deckel“, der nach Urteilen des Verfassungsgerichtshofs nicht mehr eine starre Grenze einzieht, wie etwa die 1500 Euro, die in Niederösterreich vorgesehen waren, sondern ab dem dritten Kind jeweils 43 Euro. Die Familien würden ohnehin auch noch die volle Familienbeihilfe erhalten, so die Argumentation der Regierung. Soziale Organisationen sehen aber eine Verfestigung von Kinderarmut.

Asylberechtigte

300 Euro weniger für Personen, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen – diese Regelung zielt ganz offensichtlich auf Asylberechtigte ab, die an sich nach EU-Recht den gleichen Zugang zu Sozialleistungen wie Staatsbürger haben müssten. Ob die Regelung verfassungsrechtlich hält, ist offen, die Regierung argumentiert, um diese 300 Euro würden Sprachkurse zur Verfügung gestellt. Für die UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR ist das eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung, die zu Armut führen werde. Kritisiert wird auch der Ausschluss von subsidiär Schutzberechtigten aus der Sozialhilfe: Diese Regelung für Personen, die zwar kein Asyl erhalten, aber auch nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden dürfen, widerspreche dem EU-Recht.

Behinderte

Eine Deckelung der Sozialhilfe gibt es nicht nur für Familien mit mehreren Kindern, sondern auch für Wohngemeinschaften für Erwachsene. Begründet wird das damit, willkürlich gebildeten Wohngemeinschaften von Migranten zur Maximierung der Sozialhilfe einen Riegel vorschieben zu wollen. Treffen würde es aber – so der Entwurf nicht noch geändert wird – auch Behinderte in therapeutischen Wohngemeinschaften oder Personen, die auch im Erwachsenenalter bei ihren Eltern leben. Behindertenverbände und auch die Behindertenanwaltschaft fordern explizite Ausnahmen im Gesetz. Und zwar nicht nur für Wohngemeinschaften, sondern auch für die Verpflichtung, vor Inanspruchnahme der Sozialhilfe das eigene Vermögen aufzubrauchen. Dieses werde nämlich für behindertenspezifische Aufwendungen benötigt.

Straftäter

Dass verurteilte Straftäter auch bei einer bedingten Freiheitsstrafe vom Bezug der Sozialhilfe ausgeschlossen werden, stößt bei Justizvertretern und Bewährungshilfevereinen durch die Bank auf Ablehnung. Das sei erstens eine nicht gerechtfertigte Zusatzstrafe und zweitens kontraproduktiv in Bezug auf die Resozialisierung. Eine derartige Regelung würde zu Perspektivenlosigkeit bei den Betroffenen führen und so die Kriminalitätsrate erhöhen, so die einhellige Meinung.

 

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