Überwachung ohne Verdacht gefährdet Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Im Jahr 2016 hatte eine Untersuchung der Georgetown University in Washington ergeben, dass in den USA jeder zweite Erwachsene, also 117 Millionen Menschen, in Gesichtserkennungsdatenbanken der Strafverfolgungsbehörden auftauchen – meist ohne ihr Wissen und ohne klare Regelung für die Speicherung dieser Daten.
Im Mai 2018 haben die einflussreiche US-Bürgerrechtsorganisation ACLU und zahlreiche weitere Organisationen den Internetkonzern Amazon eindringlich aufgefordert, seine Gesichtserkennungstechnologie „Rekognition“ nicht mehr den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen. In dem Brief an Unternehmenschef Jeff Bezos warnten die Bürgerrechtsorganisationen vor enormen Schäden für die Demokratie durch den Amazon-Dienst.
Die Anleitungen zu dem Programm läsen sich „wie eine Gebrauchsanweisung für autoritäre Überwachung“, erklärte die kalifornische ACLU-Vertreterin Nicole Ozer. „Wenn ein gefährliches Überwachungssystem wie dieses erst einmal gegen die Öffentlichkeit gerichtet ist, kann der Schaden nicht ungeschehen gemacht werden.“
Gesichtserkennung verwechselte US-Abgeordnete mit Straftätern
Wie berechtigt die Kritik ist, zeigte diesen Sommer ein Versuch, den ACLU durchführte: Die Bürgerrechtsorganisation hatte sich eine Lizenz für die Software besorgt und ließ „Rekognition“ die Gesichter aller 535 Kongress-Abgeordneten mit einer Datenbank abgleichen, in der 25.000 Bilder von Straftätern eingespeist waren.
Das Ergebnis war für die Abgeordneten im US-Kongress eine böse Überraschung: Laut „Rekognition“ handelte es sich bei den Bildern der Abgeordneten in 28 Fällen um Gesichter aus polizeilichen Bildergalerien von Straftätern.
Parlamentarier forderten jetzt Amazon in einer Erklärung auf, die Namen aller Sicherheitsdienste bekannt zu geben, die „Rekognition“ einsetzen. Das Unternehmen soll auch Auskunft über seine Software-Entwicklung geben.
Überwachung ohne Verdacht
Amazon gehört zu den führenden Unternehmen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Auch andere Unternehmen bieten den Behörden Gesichtserkennungsprogramme an und sorgen damit bei Bürgerrechtsaktivisten für Beunruhigung. Sie warnen, die Behörden könnten riesige biometrische Datenbanken anlegen und damit einen Überwachungsstaat aufbauen. Die Wissenschaftler warnten, die Anwendung dieser Technologie ohne Verdachtsmomente könne die in der Verfassung garantierte Meinungs- und Versammlungsfreiheit gefährden.
Überwachung als Geschäftsmodell
Jetzt habe auch Mitarbeiter der Internetkonzerne begonnen, ihren Protest gegen das Programm öffentlich zu machen. In Petitionen forderten Amazon- und Salesforce-Angestellte den Verkauf von Gesichtserkennungsdiensten an die Exekutive einzustellen. Google-Angestellte riefen den Konzern auf, sich vom „Geschäft mit dem Krieg“ fernzuhalten. Das Unternehmen war zuvor in ein Projekt mit dem US-Militär involviert. Darin sollte künstliche Intelligenz dazu genutzt werden, die Präzision von Drohnenangriffen zu verbessern. Nachdem laut Berichten etwa 4.000 Angestellte die Petition unterzeichneten, zog sich Google aus dem Projekt zurück.
Nach Medienberichten entwickelt Google zusammen mit einem unbekannten Partner auch eine Suchmaschinen-App, die der chinesischen Regierung nicht genehme Internetseiten und Suchbegriffe zensiert.
Doch Google ist nicht der einzige Tech-Gigant, dessen größte Kritikerinnen und Kritiker aus den eigenen Reihen stammen. Inmitten der heftigen Zuwanderungsdebatte in den USA im Juni schrieben 100 Microsoft-Angestellte einen offenen Brief an den Softwarehersteller. Auch darin wird das Ende der Zusammenarbeit mit der US-Grenzwache gefordert.
Internetkonzerne kooperieren mit Militärs und Diktaturen
Die führenden Internetkonzerne drängen mit Macht in neue Geschäftsfelder vor, um ihre hohen Renditen auch längerfristig abzusichern. Rücksicht wird bei diesen Vorstößen nicht genommen, und selbst auferlegte ethische Tabus gehen über Bord. Amazon weitet gerade seine Cloud-Geschäfte mit den US-Geheimdiensten und Militärs weiter aus.
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Siehe dazu auch:
Der digitale Überwachungsstaat – am Beispiel China
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