Dürfen Gerichte nur durch ihre Urteile sprechen?

VfGH Präsident Holzinger
VfGH Präsident Holzinger

In der Diskussion rund um die öffentliche Stellungnahme eines Richters des Verfassungsgerichtshofs zum Urteil über die Aufhebung der Bundespräsidentenwahl zeichnen sich zwei Grundsatzpositionen ab:

Einmal der Verfassungsgerichtshof als verschlossene Auster: „..da wird nichts gerechtfertigt, da wird nichts diskutiert. Ist ja schließlich keine parlamentarische Quasselbude…“ Und: „Der Gerichtshof spricht nur mit einer Stimme, und die ist so staubtrocken, wie es die Dignitas des Tribunals verlangt. Lediglich der Präsident des Hohen Senates erklärt sich von Zeit zu Zeit und bedenkt die Öffentlichkeit mit weisem Ratspruch (Joachim Riedl in „Zeitonlinie“).

Die andere Position: „Es ist dem Ansehen des Gerichts nicht abträglich, wenn Mitglieder die Entscheidung des Gerichts verteidigen. Es ist erfreulich, wenn ein Mensch öffentlich zu seiner Verantwortung steht und sich nicht hinter der Wand der vorgeblich „neutralen Gewalt“ versteckt (Alexander Somek in der „Presse“).

Oder: „Die Damen und Herren des VfGH sollen sich bitte weiterhin den Feinheiten des Rechts mit gewohnter Sorgfalt widmen. In der Urteilsbegründung und -ausfertigung aber möge ebensolche Sorgfalt darauf verwendet werden, den Inhalt der Öffentlichkeit verständlich zu machen (Johann Skocek in der „Presse“).

Auch wenn es sich beim  Verfassungsgerichtshof um eine Höchstgericht handelt, betrifft die der Diskussion zugrundeliegende Frage alle Gerichte: Wie kommunizieren Gerichte im Zeitalter des Internets und der Sozialen Medien mit der Öffentlichkeit?

David Maxwell Fyfe, 1st Earl of Kilmuir
David Maxwell Fyfe, 1st Earl of Kilmuir

In einem von EJTN (European Judicial Training Network) veröffentlichten Bericht aus dem Jahr 2015 zum Thema: „JUDICIAL COMMUNICATION AND PROFESSIONAL ETHICS“  in dem der Wandel des Verhältnisses der Gerichtsbarkeit zur Öffentlichkeit auf Grundlage von Studien, Entscheidungen des EGMR und Empfehlungen des Europarates anschaulich beschrieben, finden sich beide Positionen wieder: Bereits eingangs des Berichts werden die sogenannten “Kilmuir rules” aus dem Jahr 1955 zitiert, die eindringlich auf die Gefahren hinweisen, die öffentliche Statements für Richter außerhalb des Gerichtssaals mit sich bringen:  “So long as a Judge keeps silent, his reputation for wisdom and impartiality remains unassailable: but every utterance which he makes in public, except in the course of the actual performance of his judicial duties, must necessarily bring him within the focus of criticism”.  Lord Kilmuir, Lord Chancellor von England und Wales ordnete daher an, dass kein Richter an einer Fernseh- oder Radiosendung teilnehmen durfte.

Demgegenüber arbeitet der Bericht heraus, dass ein modernes Verständnis des Grundsatzes „Justice must seen to be done“ nicht nur die Teilnahme der Öffentlichkeit an Gerichtsverhandlungen und Urteilverkündigungen bedeutet,  sondern ebenso die Berichterstattung darüber und, im Zeitalter des Internet und der Sozialen Medien, auch die verständliche Aufbereitung der Entscheidungsgrundlagen der Gerichte.  Die Information der Öffentlichkeit wird in diesem Verständnis auch nicht mehr als Hol-Schuld der Öffentlichkeit,  sondern als Bring-Schuld der Gerichte verstanden (People do not look for information themselves; they wait for information to be brought to them). Bemerkenswerterweise waren es gerade Justizskandale – etwa in Belgien der Fall „Dutroux“ – oder Ereignisse wie der Bombenanschlag in Madrid 2004, die diese Entwicklung in Gang gesetzt haben.

Eine Antwort, auf welche Weise und von wem diese Kommunikation am besten zu bewältigen ist, gibt der Bericht nicht, zu groß sind die Unterschiede in der Praxis der einzelnen Mitgliedsstaaten. Die größten Unterschiede liegen wohl in der Entscheidung, ob nur Pressesprecher Kontakt zu den Medien halten dürfen (z.B. Österreich, England, Niederlande) oder jeder Richter/Staatsanwalt selbst mit den Medien kommunizieren darf (z.B. Frankreich, Irland, Spanien). Und  ob der Pressesprecher Richter/Staatsanwalt sein muss oder doch ein Medienprofi sein sollte, wie etwa ein Journalist.

Letztlich zeigt der Bericht aber, dass moderne Medienarbeit für Gerichte unverzichtbar geworden ist, wollen sie die Deutungshoheit über ihre Urteile behalten.

Siehe dazu auch die aktuelle Diskussion in der Schweiz:

Unnahbare Justitia – Der Richter und sein Publikum

Die Türen der Gerichte stehen offen

als Beispiele: Kundmachung der Verhandlungstermine Kreisgericht St. Gallen ….

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