Ein Gericht verurteilt die Republik: Das Innenministerium hätte einen Politmord verhindern können
Jetzt wird der Fall wohl wieder für internationale Schlagzeilen sorgen, denn die Republik Österreich, so besagt ein vergangene Woche ergangenes vernichtendes Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Wien, trägt Mitschuld am Tod des Flüchtlings.
Das Innenministerium und die Wiener Polizei, so urteilte Richter Wolfgang Helm, hätten es unterlassen, den Flüchtling und Kronzeugen Israilov ausreichend zu schützen.
Dadurch sei Artikel zwei der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt worden: das Recht auf Leben.
Die Republik Österreich soll Mitschuld an der Ermordung des tschetschenischen Asylwerbers Umar Israilov tragen, der vor sechseinhalb Jahren auf offener Straße in Wien-Floridsdorf erschossen wurde. Zu diesem Schluss kommt – wie der „Falter“ in seiner aktuellen Ausgabe berichtet – das Wiener Landesverwaltungsgericht in einem in der vorigen Woche ergangenen Urteil.
Dem Erkenntnis zufolge sollen das Innenministerium, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz es unterlassen haben, den aus Tschetschenien geflüchteten Asylwerber ausreichend zu schützen, obwohl es Hinweise auf eine konkrete Bedrohung gab. Damit sei das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Recht auf Leben verletzt worden. Das Landesverwaltungsgericht bescheinigt den Polizeibehörden „Gleichgültigkeit“ und „Naivität“.
Israilov hatte gegen den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow ein Verfahren wegen Folter-Vorwürfen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in die Wege geleitet. Den Hinweis eines Agenten, der im Zusammenhang damit Israilov als mögliche Zielscheibe des tschetschenischen Regimes bezeichnete, habe man seitens der Sicherheitsbehörden „nicht ernst genug genommen“. Das Landesverwaltungsgericht spricht von „Fehleinschätzung“. Innenministerium und Verfassungsschützer hätten nicht beachtet, „dass es sich bei Umar Israilov nicht um einen x-beliebigen Kriegsflüchtling, sondern um eine besonders exponierte Person gehandelt hat, die aus eigener Wahrnehmung und Betroffenheit Folter durch den Präsidenten der tschetschenischen Teilrepublik bezeugen konnte“, zitiert der „Falter“ aus dem Urteil.
Das Bedrohungsszenario für Israilov sei „unterschätzt“ und „heruntergespielt“ worden, rügt das Landesverwaltungsgericht. Dem Flüchtling sei der „notwendige und auch im zumutbaren Rahmen verfügbare aktive Schutz des Lebens“ versagt worden, indem etwa auf ein bereits im Sommer 2008 beim BVT eingebrachten Ersuchen um Personenschutz erst entsprechend reagiert wurde, als Israilov bereits tot war.
Falter Printausgabe 26/15