Gebt den Verwaltungsgerichten ihre Chance

Die Politik muss ihre neuen Kontrollore in Ruhe arbeiten lassen, die Richter müssen beweisen, dass sie wirksamen Rechtsschutz zu bieten vermögen.

BENEDIKT KOMMENDA (Die Presse)

presse-logoIm Rechtsschutz bleibt zu diesem Jahresbeginn kein Stein auf dem anderen: Ab sofort kann jeder, der mit der Entscheidung einer Verwaltungsbehörde unzufrieden ist, direkt ein Gericht anrufen. Niemand braucht sich mehr durch Instanzenzüge in der Verwaltung zu kämpfen oder eine von mehr als 120 weisungsfreien Sonderbehörden oder Senaten anzurufen. Als zweite Instanz gibt es von Arbeitslosengeld bis Zoll, von Gewerbeschein bis Polizeistrafe nur noch ein Verwaltungsgericht. Auch wenn das je nach Ort und Gegenstand das Verwaltungsgericht eines Bundeslands oder das Bundesverwaltungs- oder das Bundesfinanzgericht sein kann: Es ist ein Totalumbau mit dem Ziel, die Verfahren einfacher zu machen, sie zu verkürzen und mehr das Recht als die Politik sprechen zu lassen.

 Dass diese Reform nach jahrzehntelangen Diskussionen gelungen ist, zählt zu den wenigen Erfolgen der nur knapp wiedergewählten rot-schwarzen Koalition. Der öffentliche Applaus hält sich dennoch in Grenzen, weil es den Menschen im Grunde egal ist, wie sie zu ihrem Recht kommen, solange sie nur überhaupt halbwegs rasch dorthinkommen. Außerdem ist, obwohl die Steine für die Rechtswege im öffentlichen Recht neu zusammengesetzt wurden, der Baukasten ja doch derselbe geblieben. Das bedeutet: Der föderalistische Parteienstaat hat seine Spuren hinterlassen.

So gibt es, anders als in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, nicht bloß einen Dienstgeber mit einem Dienstrecht, sondern zehn: außer dem Bund auch alle Länder. Sie haben unterschiedlich gut der Versuchung widerstanden, sich ihre Kontrollore mehr nach politischen als nach sachlichen Kriterien auszusuchen. In der Steiermark etwa wurden unter 14 Richterinnen und Richtern drei mit eindeutiger politischer Färbung bestellt: rot, schwarz und blau. Das Wiener Rathaus versucht, mittels großflächigen Einsatzes von Rechtspflegern hinter der Fassade des Verwaltungsgerichts möglichst dieselbe Bürokratie weiterarbeiten zu lassen, der es auch bisher politisch vertrauen konnte. Auch deshalb hat die blau-schwarze Opposition in der Stadt die Wiener Variante des Verwaltungsgerichts beim Verfassungsgerichtshof angefochten; ob er einverstanden ist, konnte er vor dem Start in die neue Rechtsschutz-Ära offenbar nicht mehr klären. Bis heute ist jedenfalls keine Entscheidung des Gerichtshofs bekannt.

Dass die Politik sich gern Einfluss auf Richterernennungen sichert, haben die Landeshauptleute zuletzt im November mit ihrer Forderung bewiesen, mehr Mitsprache bei der Besetzung der Höchstgerichte zu erhalten. Dabei ist die Kür der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ohnehin fein zwischen Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat austariert; die Richter des Verwaltungsgerichtshofs können sich – mit Ausnahme des soeben von Rot-Schwarz zu Schwarz-Rot gewechselten Führungsduos – selbst ergänzen, der Politik also bindende Besetzungsvorschläge machen; und auch beim Obersten Gerichtshof herrscht die Konvention, Hofräte und Senatspräsidenten gemäß den Vorschlägen aus der Richterschaft zu besetzen.

Wie die Politik beweisen muss, dass sie die Verwaltungsgerichte jetzt in Ruhe arbeiten lässt, so müssen auch die Richter zeigen, dass sie mit der Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit leben können. Zum Teil kommen sie ja aus den bisherigen Verwaltungsinstanzen. Aber auch diejenigen, die von bestehenden Gerichten wie dem Asylgerichtshof kommen, müssen noch lernen. Nicht erst einmal musste der Verwaltungsgerichtshof Entscheidungen dieses Hauses wegen gravierender Fehler aufheben.

Die Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof wird jetzt zurechtgestutzt – auf ein für ein Höchstgericht, das Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung zu klären hat, vernünftiges Maß. Im Einzelfall, in dem es um menschliche Schicksale und unternehmerische Existenzfragen gehen kann, mag das trotzdem als zu wenig angesehen werden.

Die neuen Verwaltungsgerichte sollen aber ihre Chance haben. Zeichen von Lernfähigkeit gibt es: Ein junger Jurist, der an das – unter anderem für Fremdenrecht zuständige – Bundesverwaltungsgericht ernannt wurde, hat mittlerweile seine spätpubertäre Website mit ausländerfeindlichen Witzen offline gestellt.

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