Im zweiten Teil der Tagung wurde in der Podiumsdiskussion die Frage erörtert, ob die Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichte in Österreich durch die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen ausreichend gesichert ist. Dies vor dem Hintergrund der GRECO-Berichte und des Rechtsstaatlichkeits-Bericht der EU-Kommission, welche auf bestehende Defizite in Österreich hingewiesen haben.
Als Diskussionsteilnehmer eingeladen waren Edith Zeller (Präsidentin der Europäischen Verwaltungsrichter-Vereinigung), Peter Unger (Präsident des Bundesfinanzgerichts), Wolfgang Peschorn (Präsident der Finanzprokuratur) und Benedikt Kommenda („Die Presse“). Edith Zeller konnte wegen einer Corona-Erkrankung nicht an der Veranstaltung teilnehmen, sie wurde aber von Eva Wendler, Richterin am BVwG und Rechtsstaatsbeauftragte (rule-of-law officer) der Europäischen Verwaltungsrichter-Vereinigung würdig vertreten.
Standards für den Rechtsstaat existieren nicht nur in den Forderungsprogrammen der richterlichen Standesvertretungen
Eva Wendler stellte eingangs ihres Beitrages fest, europäische Standards seien die Vorgaben eines Soll-Zustandes. Sie sei daher sehr erstaunt gewesen, als in der Tageszeitung „die Presse“ im März dieses Jahres ein Verwaltungsrechts-Professor von der JKU Linz im Zusammenhang mit den bekanntgewordenen „Sideletter“ und dem Einfluss der Politik auf die Justiz ausführte, dass in rechtsstaatlicher Hinsicht europarechtliche Standards nur in den Forderungsprogrammen der richterlichen Standesvertretungen existieren würden, sonst nicht. Wendler verwies dazu auf den Vortrag von David Kosař über die Entscheidungen der Europäischen Gerichte, welche die Standards für verbindlich erklärt habe.
Österreichische Verwaltungsgerichte haben Sonderstellung in der EU
Die Verwaltungsgerichte in Österreich hätten in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung in der EU: Österreich verfüge über keinen Justizrat, im Bereich des richterlichen Dienstrechts, des Besoldungsrechts, des Disziplinarrecht und des Organisationsrechts der Verwaltungsgerichte bestehe eine Zersplitterung in einem Ausmaß, das zu Problemen mit der Vorhersehbarkeit, Klarheit, Einheitlichkeit und Transparenz führe. Das sei auch von GRECO so gesehen worden.
Schließlich kontrollierten Verwaltungsgerichte in Österreich zum großen Teil ihre Rechtsträger (d.s. die Länder und das BM für Finanzen), dagegen habe der Rechtsträger freie Hand bei der Ernennung der Präsident/innen, der Richter/innen, der personellen Ausstattung der Gerichte, der Sachausstattung, der Organisation der Gerichte, die gerichtsinternen Arbeitsabläufe etc. Hier gebe es zum Teil nicht einmal Mitwirkungsrechte der Richterschaft. Das gibt es in der Form sonst nirgends in der EU.
Im Gutachten des CCJE vom 28. März 2019 sei die Situation der Verwaltungsgerichte in Österreich exemplarisch an Hand der Stellung des Präsidenten des Verwaltungsgerichtes Wien analysiert worden und sei das CCJE zum Schluss gekommen, dass die Strukturen geeignet sind, die Unabhängigkeit zu gefährden.
Peter Unger verwies in seinem Beitrag auf die weitreichenden Änderungen, welche im Bundesfinanzgericht bei der Überleitung des Unabhängigen Finanzsenates zum Gericht durchgeführt wurden. Es sei gelungen, alle wesentlichen Bereiche wie Geschäftsverteilung, die gerichtsinternen Arbeitsabläufe, die Arbeit in den kollegialen Justizverwaltungsgremien oder die Entscheidungsdokumentation gerichtsförmig zu gestalten. Insgesamt sehe er das BFG im Spannungsfeld zwischen Unabhängigkeit und Effizienz gut aufgestellt.
Wolfgang Peschorn nahm in seinem Beitrag Bezug auf die mediale Berichterstattung zu den „Sideletter“ über die Postenbesetzung in der Justiz. Er wies darauf hin, dass alleine durch ihre Nennung das Ansehen der betroffenen Institutionen in der Öffentlichkeit beschädigt werde, ohne dass sich diese dagegen schützen könnten. Aus diesem Grund sei er sehr froh, dass die Finanzprokuratur dort nicht genannt wurde. Die Einrichtung und die Tätigkeit der Verwaltungsgerichte selbst beurteile er positiv, sehe aber da und dort auch Qualitätsmängel.
Benedikt Kommenda beschrieb die Entwicklung der Unabhängigen Verwaltungssenate zu den Landesverwaltungsgerichten, so wie er sie als Journalist wahrgenommen habe. Er stellte fest, es habe immer wieder Zäsuren gegeben, in denen die Politik versucht habe, Einfluss zu nehmen. Das sei vor allem in Wien passiert, und er führte dazu einige Beispiele an. Als besonders dreist sei ihm aber der Versuch des früher burgenländischen Landeshauptmanns Niessl in Erinnerung, welcher versucht hatte, seine Büroleiterin zur Präsidentin des LVwG Burgenland zu machen. Auch Kommenda verwies auf Qualitätsmängel in Entscheidung der Verwaltungsgerichte, stellte aber dazu fest, dass er dies nur auf Grundlage der veröffentlichten VwGH-Entscheidungen beurteilen könne. Er mahnt in diesem Zusammenhang ein, umfassend die Entscheidung der Verwaltungsgerichte zu veröffentlichen.
Wichtige Rolle der Standesvertretung zur Verhinderung politischer Einflussnahmen
In der zweiten Podiumsrunde gingen die Diskutanten der Fragestellung nach, welche Maßnahmen erforderlich wären, um politische Einflussnahmen zu verhindern und ob die teilweise oder gänzliche Übertragung von Justizverwaltungsaufgaben auf einen Richter- oder Justizrat dafür ein probates Mittel wäre.
Eva Wendler stellte dazu fest, aufgrund der bereits dokumentierten Problemfelder würden die notwendigen Änderungen auf der Hand liegen: einheitliche Organisationsstrukturen der Verwaltungsgerichte, bindende Vorschläge zur Ernennung neuer Richter/innen, transparente und rechtsstaatlich geführte Ernennungsverfahren mit Rechtsschutzmöglichkeiten übergangener Bewerber/innen, Gerichtspräsident bzw. Gerichtspräsidentin, der/die nur aus dem Kreis der Richter wählbar ist und von diesen ernannt wird, wobei auch eine befristete Bestellung denkbar sei. Weiters seien Informations- und Mitwirkungsrechte der Vollversammlungen in Justizverwaltungsangelegenheiten erforderlich.
Wendler strich auch die wesentliche Rolle der richterlichen Standesvertretungen zur Verhinderung politischer Einflussnahmen hervor und verwies dazu auch auf eine entsprechende Stellungnahme des CCJE.
Die übrigen Diskussionsteilnehmer am Podium zeigten sich hinsichtlich der Übertragung von Justizverwaltungsaufgaben auf einen richterlichen Selbstverwaltungskörper skeptisch. Sie verwiesen im Wesentlichen auf die Ausführungen von David Kosař, der festgehalten hatte, dass die Existenz eines Justizrates allein nicht Zeichen für eine bessere Bewertung der Unabhängigkeit des Gerichtssystems sei, da es auch wesentlich auf die Zusammensetzung und Bestellung des Justizrates ankommt. Hier bestanden bei den Podiumsteilnehmern erkennbare Zweifel, dass in Österreich „missbrauchssichere“ Strukturen aufgebaut werden könnten.